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US-Chirurgen transplantieren komplettes Gesicht

18.12.2008, 14:32

New York/Cleveland/dpa. - Die Frau hatte keine Nase und keinen Gaumen, sie konnte nicht essen und nur durch ein Loch in der Luftröhre atmen. Sie war so entstellt, dass die Kinder auf der Straße schreiend vor ihr wegliefen.

In einer bisher einmaligen Operation hat ein Ärzteteam der Cleveland Clinic in den USA der Patientin ein neues Gesicht geschenkt: 80 Prozent des Gewebes wurden ersetzt, neben der Haut auch Knochen, Muskeln, Nerven, Blutgefäße und sogar einige Zähne - die bisher umfassendste Gesichtstransplantation der Welt. «Wir hätten nie auch nur für einen Augenblick geglaubt, dass unsere Schwester jemals wieder die Chance auf ein normales Leben bekommt, nach dem Trauma, das sie durchgemacht hat», sagte die Schwester der Patientin.

Das Spezialistenteam um die Chirurgin Maria Siemionow von der Klinik in Cleveland (US-Staat Ohio) beschrieb den Eingriff auf einer Pressekonferenz am Mittwochabend als die komplizierteste und weitestgehende der weltweit bisher vier Gesichtstransplantationen. «Ich muss Ihnen erzählen, wie glücklich die Patientin war, als sie mit beiden Händen ihr Gesicht fühlen konnte, als sie spürte, dass sie eine Nase hat, einen Kiefer», berichtete Siemionow. «Sie will einfach nur rausgehen und in einer Menschenmenge nicht auffallen.»

Wer die Frau ist und von welcher Toten das Gesicht stammt - darüber bewahrten die Ärzte Stillschweigen. Zum Schutz der Beteiligten gebe es keine Informationen über die Patientin und die Spenderin sowie ihre Familien, hieß es in der Klinik. Die Schwester erklärte lediglich: «Wir weinen Tränen der Freude, aber wir weinen auch Tränen des Leids, weil ein Mensch sterben musste, um einem anderen das Leben zu geben.»

Für die Ärzte war der Eingriff vor etwa zwei Wochen die denkbar größte Herausforderung. In einer 22-stündigen Prozedur musste das Gesicht der Spenderin für die Transplantation «gerettet» und vorbereitet werden. In einem angrenzenden Operationsraum bereitete ein zweites Spezialistenteam die Patientin für die Übertragung vor. Nach 14 Stunden und 20 Minuten kam der kritischste Augenblick: Die Blutgefäße von Spenderin und Empfängerin waren verbunden, die Blutzirkulation musste wieder in Gang gebracht werden. In diesem Moment kann es zu einer sofortigen Abstoßungsreaktion kommen, alle Mühe wäre umsonst.

Doch die Patientin vertrug das neue Gewebe: Nach einem Einsatz fast rund um die Uhr konnte sie in stabiler Verfassung aus dem OP gerollt werden. Innerhalb der nächsten sechs Monate soll das Gefühl wieder in ihr Gesicht zurückkehren, im Laufe der Zeit soll sie wieder essen und sprechen, normal atmen, lächeln und lachen können. Allerdings muss sie den Rest ihres Lebens Medikamente einnehmen, um die Abstoßung des Fremdgewebes zu verhindern. «Für einen Arzt ist es eines der erfüllendsten Dinge, wenn er einem Patienten seine Lebensqualität zurückgeben kann», sagte Siemionow.

Die Mikrochirurgin hatte 2004 als erste Ärztin in Amerika die Erlaubnis erhalten, ein komplettes Gesicht zu transplantieren. Doch die Auswahl der Patientin und die Suche nach einer Spenderin brauchten Zeit. «Die Operation hat 22 Stunden gedauert, die Vorbereitung mehr als 20 Jahre», sagte sie. Die Patientin war zuvor in der Klinik schon mehrmals traditionell operiert worden, die Eingriffe hatten aber nicht den erhofften Erfolg.

Die weltweit erste Frau mit einer Gesichtstransplantation war die Französin Isabelle Dinoire im Jahr 2005. Die damals 38-Jährige war von ihrem Hund angefallen und schwer entstellt worden. Bei der Operation erhielt sie das Unterteil des Gesichtes - ein Dreieck aus Nase, Mund und Kinnpartie - von einer hirntoten Organspenderin. 10 Monate nach der Operation konnte Dinoire ihre Lippen wieder schließen, nach 18 Monaten wieder normal lächeln.

Als zweiter bekam der damals 30-jährige Chinese Li Guoxing nach einem Kampf mit einem Bären 2006 zwei Drittel des Gesichtes erneuert - eine neue Wange, eine Oberlippe, eine Nase und eine Augenbraue. Als dritter Mensch erhielt ein damals 27-jähriger Franzose mit «Elefantenmann-Syndrom» 2007 ein Dreieck aus Nase, Mund, Kinn und Wangenteilen übertragen.

Die jetzt operierte Amerikanerin bekam bis auf die Stirn, einen Teil der Augenlider und das Kinn ein ganz neues Gesicht. «Unsere Patientin wurde gehänselt und gedemütigt», sagte Siemionow. «Man braucht ein Gesicht, um der Welt ins Auge zu schauen.»