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Universitäten Universitäten: Abenteuer Fernost

Von JULIA KLABUHN 03.12.2010, 19:20
Katrin Wüstefeld kommt aus Duderstadt in Niedersachsen. Sie hat bewusst Halle als Studienort gewählt und ist zufrieden. (FOTO: ANDREAS STEDTLER)
Katrin Wüstefeld kommt aus Duderstadt in Niedersachsen. Sie hat bewusst Halle als Studienort gewählt und ist zufrieden. (FOTO: ANDREAS STEDTLER)

Halle (Saale)/MZ. - Irgendwann, sagt Katrin Wüstefeld, ist in ihrer Abiturklasse das Gerücht aufgekommen, dass Halle eine höhere Kriminalitätsrate habe als andere Städte in Deutschland. Und dann sei auch noch ein Klassenkamerad bestohlen worden, als die Schüler aus Duderstadt (Niedersachsen) auf Studienfahrt in der Saalestadt waren. Kleiner Zwischenfall, große Wirkung? Jedenfalls war die heute 26-Jährige die einzige aus ihrem Jahrgang, die zum Studium in die neuen Bundesländer gezogen ist. "Noch nicht mal nach Berlin ist jemand gegangen", sagt Wüstefeld, die in Halle Informatik und im Nebenfach Design studiert.

Kriminalität, graue Städte, Fremdenfeindlichkeit, die Vorurteile sind auch heute noch bei Abiturienten in den alten Bundesländern verbreitet. Und doch, sieben Abiturjahrgänge nach Wüstefelds Schulabschluss machen sich immer mehr junge Menschen auf in den Osten, um hier zu studieren. Jeder dritte Studienanfänger der Uni Halle kommt in diesem Wintersemester aus den westlichen Bundesländern oder Berlin. Die Hochschule liegt damit knapp über dem Landesdurchschnitt. Thüringen, Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern melden - etwa mit der Initiative "Studieren in Fernost" - ebenfalls sehr gute Erfolge im Werben um Studenten.

Mit Recht, findet Wüstefeld, die ein Studium in Halle jederzeit weiterempfehlen würde. "Weil man hier schön leben kann. Es gibt viele schöne Altbauten, besonders gemütlich ist die Kleine Ulrichsstraße mit ihren Kneipen." Dass Halle keine riesige Metropole ist, mache sie außerdem studentenfreundlich. "Man kann überall mit dem Fahrrad hinfahren oder ist mit der Straßenbahn schnell da", sagt Wüstefeld. Die meisten Studenten könnten sich schließlich kein Auto leisten. Überhaupt könne man auch sehr günstig seine Freizeit bestreiten. "Ich bin oft auf der Peißnitz, da kann man feiern und Picknick machen, ohne dass es viel Geld kostet." Und auch die Atmosphäre im Fachbereich sei angenehm. "Ich kann die Professoren jederzeit fragen, wenn sie an der Uni sind." Wartelisten für die Sprechstunden kenne sie nicht. Auch in den Seminaren geht es persönlich zu. "Die Lerngruppen sind klein, 20 Leute, das ist fast wie in der Schule", sagt Wüstefeld. Sie ist aus zwei Gründen nach Halle gekommen: Wegen des Studienangebots und weil ihr Vater seit der Wende hier arbeitet. Halle war ihr aus dem Grund nicht ganz fremd.

Empfehlen würde sie die Uni auch wegen der guten Ausstattung. Im Nebenfach hat Wüstefeld Design an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle studiert. Dort können Studenten im Computerpool arbeiten. Die Rechner seien mit allen notwendigen - und bei eigner Anschaffung sehr teuren - Design-Programmen ausgestattet. Dass dies nicht überall zum Standard gehört, weiß Wüstefeld von ihrem Freund, der an der Kunsthochschule Kassel studiert. "Die Ausstattung dort ist lange nicht so gut wie an der Burg", so Wüstefeld.

Gute Betreuung und moderne Ausstattung - das nimmt auch Sabine Stoffner aus Stuttgart für Halle als Studienort ein. Obwohl man letzteres dem Institut für Archäologie am Brandbergweg nicht gleich ansieht. Das Gebäude, in dem sie an ihrer Diplomarbeit im Fach prähistorische Archäologie arbeitet, ist unsaniert. Die Teeküche des Instituts, in der sie gerade Pause macht, ist gemütlich, nicht schick. "Ich habe in den Veranstaltungen zu Studienbeginn erst die Gebäude am Von-Seckendorff-Platz und am Hohen Weg gesehen, die sind viel moderner", sagt die 26-Jährige und lacht, "als ich dann hierher kam, wusste ich erst einmal nicht, was ich denken soll." Aber auch das Institut am Brandbergweg birgt moderne Ausstattung. Etwa den Fotoraum, den Stoffner für die Dokumentation archäologischer Fundstücke braucht.

Nach Halle ist die Studentin wegen des Fachs prähistorische Archäologie gekommen. Und aus Abenteuerlust: "Ich fand es toll, den Osten zu erkunden." Ihre Eltern unterstützten sie in dem Vorhaben und waren gleich beim ersten Besuch von Halle begeistert. Im Freundeskreis sei das anders gewesen. "Viele konnten das nicht nachvollziehen und manche haben gesagt, dass Halle doch bestimmt hässlich sei", sagt Stoffner. In der Zwischenzeit seien aber auch die Freunde eines Besseren belehrt worden. Im Schnitt drei Mal im Jahr bekommt sie Besuch aus dem 500 Kilometer entfernten Stuttgart. Stoffner zeigt ihnen dann die Moritzburg, den Marktplatz, aber auch Kuriositäten wie das Beatles-Museum. "Besonders gut hat vielen die Peißnitz gefallen und das Sommerkino dort, das es ja leider nicht mehr gibt."

Stoffner schwärmt von der freundlichen und offenen Atmosphäre in der Stadt. "Ich habe hier Studenten zufällig auf der Straße kennengelernt, mit denen ich mich dann immer wieder verabredet habe", sagt Stoffner. Beeindruckt ist sie davon, dass in der Kulturszene so viel Bewegung ist. "Halle hat viel Potenzial, die Studenten tragen selbst dazu bei, sie betreiben Galerien und DJs etablieren neue Musikszenen", sagt Stoffner.

Sicher ist, dass Studenten wie Stoffner und Wüstefeld an den Hochschulen im Osten willkommen sind. Denn nur so können die Unis die sinkenden Abiturientenzahlen vor Ort ausgleichen. Offensiv wird um sie geworben - mit guten Argumenten: Vergleichsweise niedrige Lebenshaltungskosten - die Mietpreise pro Quadratmeter liegen in Halle für eine Singlewohnung bei sechs, in Stuttgart bei elf Euro; fehlende Studienangebote und gute Ausstattung sollen Studenten aus dem Westen anlocken. Das Centrum für Hochschulentwicklung CHE bescheinigte den Hochschulen im Osten kürzlich eine weitaus besser Ausstattung als den meisten Westunis (siehe Grafik). Starke Argumente für eine Studienwahl. Je weiter sie sich herumsprechen, desto leiser werden die Gerüchte über hohe Kriminalitätsraten und hässliche Städte.