Total-Raffinerie Total-Raffinerie: Der Riese ruht
Halle/MZ. - Dies ist der Grund, erläutert Woigk, warum die gesamte Anlage jede Nacht von 14 000 Lichtquellen in Festbeleuchtung versetzt wird. Das Personal müsse ohne eigenes Licht seinen Weg finden.
Woigk kennt sich in Erdölverarbeitung bestens aus. Einst war er Schichtleiter in der alten Leuna-Raffinerie. Seit 1997 arbeitet der 51-Jährige in der neuen Raffinerie, die jeden zehnten Liter Kraftstoff in Deutschland produziert, als Trainer für das Messwarten-Personal, das alle Prozesse in den Anlagen lenkt. "Eine Raffinerie ist mehr als nur eine Chemieanlage", sagt Woigk. "Hier gelten verschärfte Sicherheitsgesetze." Die Abschaltung der Anlage für eine siebenwöchige Generalinspektion sei daher eine große Herausforderung. Neben den 700 Mitarbeitern der Raffinerie arbeiten seit dem 3. Mai auch über 3 000 externe Mitarbeiter mit. Woigk ist für diese Zeit zum Sicherheitsinspektor ernannt worden.
80 Kräne stehen auf dem Gelände. Fast alle Anlagen sind von Gerüsten ummantelt. Etwa 200 Millionen Euro sollen in die Reinigung, Instandhaltung und Neuinvestitionen fließen. Der Aufwand ist laut Projektleiter Francis Parmentier enorm: "Etwa 25 000 Ersatzteile sind bestellt worden." Zwei Jahre lang sei der Raffinerie-Tüv akribisch vorbereitet worden. "Das Ineinanderspielen der verschiedenen Gewerke ist das größte Problem", sagt Parmentier. Alles muss nach einem festgelegten Plan laufen.
Dies wird bei der "Erneuerungskur" für das Herzstück der Raffinerie, der Destillationsanlage, deutlich. Bei der Destillation wird das Rohöl - es gelangt über eine 3 000 Kilometer lange Pipeline von Russland nach Leuna - bei 350 Grad in seine Bestandteile getrennt. Dabei entstehen unter anderem Benzin, Diesel und Kerosin. Diese Fraktionen durchlaufen eine Reinigung (Entschweflung) und Veredelung. Am Gesamtprozess sind 500 Wärmeaustauscher beteiligt, die derzeit gereinigt und kontrolliert werden. "Die zwei Waschplätze dafür sind ein Nadelöhr" erläutert Total-Sprecher Olaf Wagner. Mit speziellen Gerät werden die fünf bis acht Tonnen schweren Rohrbündel der Wärmeaustauscher gereinigt und auf Schäden untersucht. Zu jedem Rohrbündel wird eine Akte angelegt. Stockt hier der Fluss, verzögern sich auch alle anderen Arbeiten. Bei allen Überprüfungen muss laut Woigk zudem auf bestimmte Gefahrenquellen geachtet werden: "Sind aus allen Behältern gefährliche Stoffe wie etwa Schwefelwasserstoff wirklich entfernt?" Bei 1 500 Behältern und Kolonnen eine Mammutaufgabe. Um Unfälle zu vermeiden, wurden schon im Vorfeld rund 10 000 A 3-große Arbeitserlaubnis-Scheine ausgestellt. Um die Prozesse zu beschleunigen, gibt es sieben so genannte Kontraktoren, unter deren Regie die einzelnen Bereiche inspiziert werden. Eine Reihe dieser Unternehmen kommt aus Mitteldeutschland wie IMO Anlagenmontagen Merseburg, MCE Industrietechnik Ost aus Leuna oder Weber Rohleitungsbau aus Merseburg. "Dies ist für uns ein besonderer Auftrag", sagt Karsten Hinneburg, Projektleiter von Weber Rohleitungsbau. Das Unternehmen war schon beim Bau der Anlage und dem ersten Tüv im Jahr 2002 beteiligt. "Wir prüfen die Rohrleitungen und wechseln auch aus", sagt Hinneburg. Kranfahrer bringen die mitunter meterlangen Teile zentimetergenau an ihren Platz. Zuvor müssen die Leitungssysteme von ihrer Verschalung uns Isolierung befreit werden. "Bei mehr als 30 Grad Celsius in der Sonne ist dies ein Knochenjob", gesteht Hinneburg. Der Zeitplan sei eng, Ruhepausen seiner 175 Leute im Schatten der 1 400 Baucontainer selten.
Damit die Motivation auf dem Bau nicht sinkt, hat Total zwei große Baustellen-Kantinen errichtet. "Wir werden heute 2 500 Essen ausgeben", berichtet Kathleen Scharf, die eine dieser Küchen führt. Von 7.30 Uhr bis 22 Uhr haben die Kantinen geöffnet. Zur Mittagszeit kommen hunderte Arbeiter gleichzeitig. Besonders groß ist der Andrang, wenn Total an zwei oder drei Tagen die Woche die Essensrechnung für alle Beteiligten übernimmt.
Bis zur Halbzeit der Raffinerie-Kur am vergangenen Freitag lief auf der Baustelle alles glatt. "Es ist schon fast ein wenig unheimlich, wie gut die vielen Firmen hier zusammenarbeiten", meint Woigk. Der Sicherheitsinspektor auf Zeit hat natürlich wie alle Beteiligten ein Ziel: Alle Arbeiten im Zeitplan erledigen - und ohne einen Arbeitsunfall.
Woigk freut sich dennoch darauf, in einigen Wochen seine normale Arbeit als Trainer aufzunehmen. Und die brennende Fackel als unverzichtbarer Teil des Sicherheitssystems der Raffinerie wird dann wieder leuchten und signalisieren: Der Riese ist erwacht.