1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Tierärzte: Tierärzte: Frau Doktor und das liebe Vieh

Tierärzte Tierärzte: Frau Doktor und das liebe Vieh

Von JULIA REINARD 04.10.2010, 20:26

BAD BIBRA/HALLE/MZ. - Mitten in der Nacht klingelt das Telefon. Alexandra Siebert springt in ihr Auto und fährt übers Land. Die Landwirte grüßen die große, brünette Frau, die sich gleich den Tieren zuwendet. Am häufigsten wird die Veterinärin angerufen, wenn es beim Kalben Probleme gibt. Dann muss sie dem 500 Kilogramm schweren Muttertier helfen, ihr 40-Kilo-Junges gesund auf die Welt zu bringen. Das kann schon mal drei Stunden dauern, bis Kuh und Kalb wohlauf sind und Alexandra Siebert durchgeschwitzt, aber zufrieden zurück nach Bad Bibra im Burgenlandkreis fährt.

Die 31-Jährige ist eine von wenigen Tierärztinnen, die sich um Rinder kümmern - und das wird zunehmend zum Problem. Zwar ist der Studiengang Veterinärmedizin weiterhin gut besucht, auch die Zahl der Absolventen hat sich wenig verändert, wohl aber die Zusammensetzung der Studentenschaft: 2008 waren 85 Prozent der Absolventen weiblich, acht Jahre zuvor waren es noch 74 Prozent gewesen. "Die veränderte Absolventen-Struktur führt dazu, dass Tierärzte Probleme haben, Nachfolger zu finden", sagt der Geschäftsführer der Tierärztekammer Sachsen-Anhalt, Björn Dittrich. Vor allem die Veterinäre, die sich um Nutztiere kümmern, suchten oft jahrelang nach Kollegen, an die sie ihre Praxen übergeben können - manche vergeblich. Viele Tierärztinnen suchen dagegen Praxen in Großstädten, bei denen sie sich allein um Haustiere kümmern müssen.

Nicht so Alexandra Siebert. Sie wollte eine eigene Praxis eröffnen. Und sie wollte mit Rindern arbeiten. Nachdem sie ihr Studium beendet hatte, arbeitete sie ein Jahr lang in einer Milchtieranlage. Danach begann sie zwei Tage die Woche im Schlachthaus in Weißenfels zu arbeiten. Vergangenes Jahr war es dann soweit: Sie eröffnete ihre Praxis, kümmert sich aber immer noch um die Rinder von Züchtern und Milchtierhaltern. Seit ihrer Kindheit findet sie: "Rinder sind tolle Viecher", denn sie wurde auf einem Bauernhof groß, war von Kleinauf von diesen Wiederkäuern umgeben. Doch sie sieht, dass nicht jeder mit Rindern arbeiten will - oder kann: "Viele Absolventen schafften das schon kräftetechnisch nicht", gibt sie zu bedenken.

Die meisten Studenten hätten heute ein Bild vom Tierarzt im Kopf, das viel mit Haustieren und Pferden zu tun hat, mutmaßt Dittrich. Durch diesen Imagewandel fühlten sich verstärkt Frauen vom Beruf angezogen, so der 39-Jährige. Dabei arbeitet ein Großteil der Veterinäre mit Nutztieren, in Verwaltungs- und Veterinärämtern und der Industrie, doch das sei einem oft nicht bewusst. Die Industrie stellt dabei jedes Jahr mehr Tierärzte ein.

Tatsächlich klappt es bei Alexandra Siebert auch deswegen so gut, weil ihr Mann die Elternzeit genommen hat. Gatte Ralf Heinicke arbeitet als Amtstierarzt im Burgenlandkreis und konnte problemlos in Erziehungszeit gehen. Wäre er selbständig, wäre eine monatelange Arbeitsunterbrechung ein wirtschaftliches Risiko. Außerdem bestand der 48-Jährige darauf, möglichst viel vom ersten Lebensjahr seines Kindes mitzubekommen.

Doch solch ein Arrangement ist noch immer ungewöhnlich. Da müssen sich nicht nur die Eltern einig sein, sondern auch die Arbeitgeber mitziehen - was die Elternschaft für Veterinärinnen zum Balanceakt macht. Schließlich ist auch der Alltag für Tierärzte mit Nutztierbetreuung wenig familienfreundlich - nächtliche Einsätze sind keine Seltenheit, geregelte Arbeitszeiten nicht möglich. Dies schreckt viele Frauen offenbar ab.

Hauptsächlich, weil sie keinen Nachfolger finden, arbeiten viele Tierärzte oft noch mit 70 Jahren. Das ist möglich, weil sie zur freien Ärzteschaft gehören. Die Tierärztekammer tagte vergangenes Wochenende in Halle. Auch dieses Problem kam zur Sprache. Denn auch ambitionierte Ärzte können nicht ewig in Praxen und Kuhställen stehen.