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Stasi gegen DDR-Bürgerrechtler Symbol 89: Stasi wollte DDR-Bürgerrechtler bei Wahl zurückdrängen

Von Steffen Könau 04.05.2019, 16:00
In einem DDR-Wahllokal
In einem DDR-Wahllokal dpa

Halle (Saale) - Um sechs Uhr morgens besetzten die Genossen der Volkspolizei Kontrollpunkte an den Autobahnabfahrten. Auch in der Gaststätte „Grüne Tanne“ an der Einfallsstraße nach Halle bezogen zwei Mann Posten.

Mit Dienstbeginn gehen Stasileute und Kripo-Fahnder verstärkt Streife und in der Bezirksverwaltung des MfS trat Oberst Rolf Schöppe mit dem Einsatzstab zusammen.

Es ist Mai 1989. 24 Stunden vor Eröffnung der Wahllokale ist unbemerkt von den Bürgerinnen und Bürgern der DDR die „Aktion Symbol 89“ angelaufen.

Die seit Monaten gründlich vorbereitete Aktion soll „feindlich-negative Kräfte zurückdrängen“ und so die DDR-Kommunalwahlen absichern, die in einer für die Partei- und Staatsführung gefährlichen Situation stattfinden.

Der Unmut in der DDR ist groß, die Front der Bruderstaaten bröckelt und die Schutzmacht Sowjetunion hat ihr Amt eigentlich schon niedergelegt. „Symbol 89“ soll nun die „Sicherung der Errungenschaften der Arbeiterklasse“ bringen, wie Stasi-Akten verraten: Der Klassenfeind muss in die Schranken gewiesen werden. Der Westen soll begreifen, dass die SED ihre Macht immer noch fest in den Händen hält.

Seit Februar schon hatte eine von Halles Stasi-Chef Heinz Schmidt angeführte „Koordinierungsgruppe“ dazu die „Absicherung“ der Kommunalwahlen vorbereitet.

„Zur Gewährleistung einer hohen politischen Stabilität“, heißt es in einem „Maßnahmeplan“ vom März, gelte es, „alle politisch-operativen Maßnahmen zur Verhinderung feindlich-negativer Aktivitäten vorzubereiten“.

Während das Politbüro landauf und landab tingelt, um gute Wahllaune zu verbreiten und auch Wahlkämpfer Erich Mielke beim Pflichtbesuch im VEB Banner des Friedens in Weißenfels bürgernah auftritt, ziehen seine Männer hinter den Kulissen die Fäden.

In penibler Puzzlearbeit werden Listen von „Eingabenverfassern“, „Symbolträgern“ und „Ausreise-Antragstellern“ erarbeitet, die Überwachung von „negativen Kräften“ wird intensiviert und die als „gefährlich“ erfassten Personen aufgenommen.

Eine schizophrene Situation. Während die DDR-Medien wie stets Siegesmeldungen verkünden, lauert der Staatsfeind überall. Dass bei der Rentnerin Charlotte Sch. im Halle-Neustädter Block 771, Erdgeschoss, „eine am Fenster befindliche Staatsflagge entwendet und in einen Müllcontainer geworfen“ (MfS-Bericht) wurde, erregt Verdacht. Die Abteilung XX - zuständig für die „Absicherung des Staatsapparates“ - nimmt die Verfolgung auf.

Als eine Postkarte mit dem Text „Seid gegrüßt ihr radischen roten Brüder! Geht ihr auch am Sonntag falten? Da haben wir wieder den alten Holzkopf Honecker den verkalkten!“ an den „Palast dela Protza der Partei“ in Halle geschickt wird, schreckt das nicht nur aufmerksame Postmitarbeiter auf, die das anonyme Schreiben umgehend an die „zuständigen Organe“ weiterleiten. Auch Kripo und MfS sehen sich in der Ermittlungspflicht: „Der Text wurde mit blauem Kugelschreiber geschrieben. Die Postkarte ist handelsüblich. Fahndung angelaufen. Über Identifizierung wird nachberichtet“, heißt es.

Kommunalwahl in der DDR 1989: Stasi registrierte vermeintliche Störungen

Im Computer registriert die Staatssicherheit getreulich auch alle anderen verdächtigen „Anfälle“. „Schmierereien“ des Wortlauts „Wann denn endlich“ und „Warum?“ werden in Halle entdeckt und vermessen. Sie sind „75 mal 30 Zentimeter groß“.

An einem HO-Miederwarenladen entdecken Helfer der Volkspolizei „Zettel, selbstgefertigt“. Notiert wird auch der Protest eines Christof M. im halleschen Advokatenweg, wo streifende Fahnder „hinter einem Parterrefenster eine 30 Zentimeter große Puppe mit Zettel 8x10 cm, Text ,Statt unsere Stimme zu erheben, werfen wir sie in die Urne“ ausmachen. Es sei aber „keine Öffentlichkeitswirksamkeit“ feststellbar gewesen. Die Zentrale geht auf Nummer sicher: „ABV verbleibt gedeckt am Ereignisort.“

Wie umfassend das Netz der Stasi-Wahlbeobachter war, lassen die Akten erahnen. Ob Zusammenkunft der Ökologischen Arbeitsgruppe oder Geburtstagsfeier in der Christusgemeinde, ob „Anfall des Pkw Trabant VW 95 - 05 mit Symbol der Antragsteller“ am Schkeuditzer Kreuz oder Vortrag des Bürgerrechtlers Frank Eigenfeld mit „provokativen Aussagen wie jeder Mensch hat die gleichen Rechte“ - die „Firma“ ist in diesen Tagen überall.

Auch bei einem Gespräch des als „OV Copilot“ bespitzelten Jürgen R. mit der „Antragstellerin“ Dagmar U. „Sie vereinbaren“, informiert ein Major Wedde seine Vorgesetzten, „dass U. mit dem R. das Wahllokal aufsucht. R. will dort provozieren“.

Das wird die Stasi nicht zulassen. Jürgen R. bekommt noch vor dem Wahltag Besuch. Und wie ihm geht es in diesen Maitagen 1989 rund 9.000 anderen Menschen allein im Bezirk Halle. Rund um die Uhr ist das „Schild und Schwert der Partei“ unterwegs, um „Wahlverweigerungs-Ankündiger zu disziplinieren“ und „den Differenzierungsprozess unter den Antragstellern zu forcieren“.

„Wen“, hatte Generalmajor Heinz Schmidt als Devise ausgegeben, „kann man durch Zusicherung der Ausreise disziplinieren? Welche Personen müssen noch vor Beginn der Aktion übersiedelt werden?“

Eine Strategie, die aufgeht. Fünf Monate vor dem Ende der DDR feiert das MfS seinen letzten Erfolg: „Von den 9.669 angekündigten Verweigerungen wurden bisher 4.530 zurückgezogen“, meldet die Abteilung XX wenige Stunden vor Öffnung der Wahllokale.

Halle geht so ohne „Anfälle“ zur Urne. Stasi-IM in den Wahlvorständen stellen beschriftete Stimmzettel für die „Schriftenfahndung“ sicher, notieren „Kabinengänger“ und halten „Unmutsäußerungen“ fest. Am Tag danach ist es dadurch wieder das MfS, das am besten weiß, wie, wo und wie viel gefälscht wurde.

Trotzdem: Nach ersten Protesten wegen Wahlfälschung erlässt der in seinem Weißenfelser Wahlbezirk natürlich wiedergewählte Volkskammerabgeordnete Erich Mielke die „Anweisung 38/89“, die die „Organe“ für die anschwellende Protestwelle präpariert. „Das Wahlergebnis ist festgestellt. Dem ist nichts hinzuzufügen“, sollen Eingaben beantwortet werden.

Strafanzeigen seien „ohne Kommentar entgegenzunehmen. Nach Ablauf der Fristen ist zu antworten, dass kein Verdacht einer Straftat vorliegt. Alle Informationen zu Personen, die im Zusammenhang bekanntwerden, sind dem MfS zu übermitteln“.

Das Ende der DDR hat begonnen. Nicht einmal ein halbes Jahr später wird die Mauer fallen. (mz)