Steinbrück: Lage am Finanzmarkt «hoch gefährlich»
Berlin/München/dpa. - Auch nach der zweiten dramatischen Rettungsaktion für den Münchner Konzern Hypo Real Estate (HRE) binnen einer Woche sah Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) am Montag keinen Grund zur Entwarnung und nannte die Lage «hoch gefährlich». Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bat die Vorsitzenden der Bundestagfraktionen für den Abend ins Kanzleramt, wie die Deutsche Presse-Agentur dpa erfuhr. An den Börsen nahm die Verunsicherung zu: Die Aktienkurse gingen weltweit rasant auf Talfahrt.
Um die Sparer zu beruhigen, versicherte die Bundesregierung erneut, dass private Einlagen von mehr als 1000 Milliarden Euro dauerhaft durch den Staat garantiert sind. Dieser Betrag entspricht mehr als dem dreifachen des Bundeshaushaltes in diesem Jahr.
Merkel ging mit der Finanzbranche ins Gericht und kritisierte, die von «unverantwortlichen Bankern» verursachte Krise setze die soziale Marktwirtschaft unter hohen Druck. Deshalb müssten die Finanzmärkte stärker reguliert werden. Verbraucherschützer warnten: «Die meisten Menschen haben Angst, dass ihr Geld nicht mehr sicher ist.»
Die weltweite Finanzkrise und Sorgen um die Konjunktur ließen die Finanzmärkte weltweit einbrechen: Der Börsen-Leitindex Dow Jones rutschte erstmals seit vier Jahren unter die wichtige 10 000-Punkte- Marke und verlor zu Beginn der neuen Handelswoche mehr als 3 Prozent. In Brasilien lösten die Turbulenzen eine Börsen-Panik aus. Die HRE- Krise ließ den Deutschen Aktienindex (DAX) bis zum frühen Abend zeitweise mehr als 7 Prozent einbrechen.
Die in den USA ausgelöste Krise um Ramsch-Hypotheken setzt europäische Regierungen unter Druck, dem deutschen Beispiel der Einlagengarantie zu folgen. Die Finanzminister der Eurozone kamen am Abend in Luxemburg zusammen, um gemeinsame Not-Maßnahmen auszuloten. Beim Krisen-Gipfel der führenden vier europäischen Staaten - Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien - hatten sich die Staats- und Regierungschef am vergangenen Samstag mit unverbindlichen Absichtserklärungen begnügt.
Die Finanzkrise wird nach Ansicht des Chefs des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, in zahlreichen Ländern das Wachstum bremsen. «Die Krise hat starke indirekte Folgen, das Wachstum wird sich in vielen Ländern verlangsamen», sagte Strauss- Kahn in Paris.
Die Zukunft der Hypo Real Estate bleibt auch nach der Aufstockung des Hilfspakets auf 50 Milliarden Euro ungewiss. Die Aktie des DAX- Konzerns stürzte erneut ab und verlor zeitweise mehr als zwei Fünftel an Wert. «Es bleibt offen, ob das Volumen des Rettungspakets diesmal ausreicht», kommentierte ein Börsianer. HRE-Vorstandschef Georg Funke sah sich massiven Rücktrittsforderungen ausgesetzt.
Steinbrück ging hart mit dem HRE-Management ins Gericht und hielt eine weitere Zusammenarbeit für undenkbar. Ebenso wie Merkel und Bundesbankpräsident Axel Weber habe er erst am Samstagabend von der neuen Entwicklung erfahren. Regierung und Finanzwirtschaft hatten ein neues Rettungspaket schnüren müssen, nachdem der erste Hilfsplan Ende vergangener Woche gescheitert war. Die Finanzindustrie will die Notfallkredite für den Münchner Konzern auf nunmehr 30 Milliarden Euro verdoppeln. Einschließlich der in der ersten Runde vereinbarten Kredite beläuft sich das Gesamtpaket jetzt auf insgesamt 50 Milliarden Euro. Im schlimmsten Fall müssten die Steuerzahler für Verluste von bis zu 26,5 Milliarden Euro geradestehen.
Die FDP warf Merkel und Steinbrück nach ihren Garantiezusagen für private Giro- und Sparkonten eine Missachtung des Parlaments vor. FDP-Partei- und Fraktionschef Guido Westerwelle sprach in Berlin vom «größten Blankoscheck in der Geschichte Deutschlands».
Wie Steinbrück sagte, wollte die Regierung vermeiden, dass Bankkunden kurzfristig Guthaben abheben «und unter die Matratze» legen. Laut Steinbrücks Sprecher Torsten Albig gab es Hinweise, dass die Bürger in Europa angesichts der Krise deutlich mehr Bargeld von ihren Konto abheben.
Die EU-Kommission begrüßte grundsätzlich die Garantie für private deutsche Spareinlagen. Ein Sprecher von Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes sagte in Brüssel: «Das kann eine angemessene Antwort der Politik sein.» Für Unmut sorgte der Schritt der Bundesregierung bei der britischen Regierung. Premier Gordon Brown Bedarf wollte in einem Telefonat mit Merkel auf Klärung dringen. Die Regierung in London war schon nach der irischen Zusage einer staatlichen Sicherung gezwungen, die Garantiehöhe auf Einlagen zu erhöhen, um einen Kapitalabfluss nach Irland zu verhindern.
Nach dem Zusammenbruch führender Finanzhäuser an der New Yorker Wall Street war die Neuordnung der Bankenlandschaft in Amerika und Europa weiter in vollem Gange. Das französische Finanzinstitut BNP Paribas übernahm die Geschäfte der angeschlagenen Bank Fortis in Belgien und Luxemburg. Fortis war zuvor zerschlagen und zum Teil verstaatlicht worden. Der Kaufpreis liege bei 14,5 Milliarden Euro, teilte BNP in Paris mit.