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Staßfurt Staßfurt: Vor 150 Jahren brach das «Kalifieber» aus

Von Dörthe Hein 04.12.2002, 06:45

Staßfurt/dpa. - Stolz zeigt Michael Scholl das Bild seiner Stadt: Zu sehen sind Fabriken, jede Menge rauchende Schornsteine und geschäftiges Treiben. Vor rund 100 Jahren, als das Foto entstand, hatte die sachsen-anhaltische Stadt Staßfurt das Weltkalimonopol. «Es gab ein regelrechtes Kalifieber, das man mit dem Goldfieber in Kalifornien vergleichen kann», sagt der Leiter des Stadt- und Bergbaumuseums. Von der «Wiege des Kalibergbaus», wie Staßfurt sich heute nennt, ist inzwischen nichts mehr zu sehen. Keine rauchenden Schornsteine, keine Fabriken. In der Kleinstadt leben kaum noch 20 000 Menschen. «Über das 150-jährige Jubiläum des weltweit ersten Kalischachts wurde kaum berichtet», meint Scholl.

Dabei hat die Kleinstadt in Sachen Bergbau jede Menge zu bieten: Vor 150 Jahren wurde hier der erste Kalischacht in die Erde getrieben. «Auf das Kalisalz hatte man es nicht abgesehen, vielmehr sollte der Speisesalzbedarf Preußens gedeckt werden», berichtet Reiner Göbel, der sich seit Jahren für das Museum einsetzt. Auf der Suche nach dem Speisesalz waren die Bergleute sehr enttäuscht, weil sie immer wieder auf rötlich schimmernde Salze stießen, die angeblich nicht zu gebrauchen waren. Das Kalisalz wurde zunächst als Abraumsalz auf riesige Halden geschüttet.

Einige Jahre zuvor hatte der Chemiker Justus von Liebig (1803- 1873) herausgefunden, dass das Kalisalz Substanzen enthält, die das Pflanzenwachstum fördern - unter anderem Kalium. Liebig bezeichnete Kali als «großes Glück für Landwirte und Rübenbauern.» Durch Briefwechsel mit Liebig kamen auch bald die Staßfurter auf den Wert der Kalisalze. Das Speisesalz rückte in den Hintergrund. «So wurde aus einem Zufall ein großes Glück für die Stadt», urteilt der Vorsitzende des Staßfurter Bergmannsvereins, Gerald Meyer.

Weitere Forschungen ergaben, dass aus den geförderten Kalisalzen auch verschiedene andere wertvolle Substanzen gewonnen werden konnten. «Darunter waren Kalisalpeter für die Sprengstoffproduktion, Brom, das in der Medizin- und Fototechnik verwendet wurden und Zyankali, das in Südafrika zur Goldgewinnung eingesetzt wurde», sagt der pensionierte Ingenieur Göbel. Bis zum Ersten Weltkrieg hatten die Staßfurter das Weltmonopol für Kali.

Die Probleme für die 400 bis 500 Meter tiefen Kalischächte begannen dann zur Jahrhundertwende: sie ersoffen. «Das Grundwasser lief von oben in die Schächte, außerdem gab es 1901 den ersten Gebirgsschlag», sagt der Bergmannsverein-Vorsitzende Meyer. «Es gab damals keine Erfahrung mit Kalischächten. Heute wissen wir, dass zu dicht an falsche Gesteinsschichten heran gebohrt wurde und zu wenig Sicherheitspfeiler vorhanden waren.» In den 30er Jahren war die Erdoberfläche in Teilen der Stadt sogar um bis zu sechs Metern abgesunken. Als Folge mussten große Teile der Innenstadt abgerissen werden müssen.

Bis heute sind die Auswirkungen des Kalibergbaus spürbar: Die Erdoberfläche senkt sich teils um bis zu 20 Millimeter pro Jahr. Und es ist nach Aussagen von Experten nicht abzusehen, wann und ob das Absinken aufhört. Deshalb kann in Teilen der Stadt auch nur eingeschränkt gebaut werden.