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Spielzeug Spielzeug: Kinderspaß aus Sand, Kreide und Leinöl

Von Peter Jähnel 03.12.2002, 07:10
Eine Hand greift im Inneren des aus Anker-Bausteinen originalgetreu nachgebauten Modells der Klosterruine Paulinzella nach Bausteinen (Foto: dpa)
Eine Hand greift im Inneren des aus Anker-Bausteinen originalgetreu nachgebauten Modells der Klosterruine Paulinzella nach Bausteinen (Foto: dpa) ZB

Rudolstadt/dpa. - Wer die Deutsche Spielzeugstraße von Nürnberg und Coburg über Sonneberg nach Arnstadt entlang zieht, kommt auch durch Rudolstadt. In der Kleinstadt haben Enthusiasten die beliebten Ankersteinbaukästen nach 30-jähriger Pause seit Mitte der 90er Jahre zu neuen Höhen geführt. In den Wochen vor Weihnachten laufen die Pressen des weltweit einzigen Herstellers von Systemsteinbaukästen wieder auf Hochtouren und lassen die Herzen der jungen und alten Hobby-Baumeister höher schlagen. Diese können die beliebten Bausteine bundesweit in 1000 Fachgeschäften erwerben.

Quarzsand, Kreide und Leinöl - das sind die Stoffe, aus denen in Rudolstadt seit mehr als 120 Jahren Kinderträume unter dem Druck der hydraulischen Pressen feste Formen annehmen. Viele Generationen haben mit den sandsteinfarbenen, ziegelroten und schieferblauen Steinen Schlösser, Burgen, Kirchen, Bahnhöfe und Rathäuser errichtet. Jährlich verlassen 15 000 Steinbaukästen mit dem bunt bedruckten Schiebedeckel die Rudolstädter Manufaktur.

«Mit unseren Steinbaukästen spielen kleine und große Menschen in 30 Ländern der Welt», berichtet der Geschäftsführer der Anker Steinbaukasten GmbH, Georg Plenge. Auch der ehemalige US-Präsident Bill Clinton und seine Frau Hillary gehören zu den Besitzern der Kunststeine. Plenge übergab ihnen einen Steinbaukasten bei einer Visite in Thüringen im Sommer 1998. Ein eingerahmter Dankesbrief von Bill und Hillary ziert seitdem das Büro der Geschäftsleitung.

Als in den 60er Jahren Plastiksteine auf den Markt drängten, wurde die Produktion der kleinen Bausteine in Rudolstadt 1963 eingestellt. Plenge vermutet auch ideologische Gründe dafür, denn Schlösser galten der DDR-Führung als bourgeois. Gut 30 Jahre später erlebten die Ankersteine eine Renaissance. Initiator war der pensionierte Berliner Akustik-Professor Plenge, der zuletzt in München lehrte. «Mit dem Wiederaufbau der Ankerproduktion und der Firmenneugründung 1995 habe ich mir einen Jugendtraum erfüllt», erinnert sich der 73-Jährige.

Inzwischen steht der einst mit Fördermitteln wiederbelebte Manufakturbetrieb mit 16 Mitarbeitern erfolgreich auf eigenen Beinen. «Seit 2001 erwirtschaften wir sogar kleine Gewinne», freut sich der 65-jährige Marketingchef Gerhard Thormählen. «Unseren Umsatz wollen wir in diesem Jahr um etwa zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr steigern und 900 000 Euro erreichen.»

Plenge, Thormählen und ihre Mitstreiter knüpfen an eine Spieltradition an, die auf den großen Pädagogen Friedrich Fröbel (1782-1852) zurückgeht. Er gründete 1837 in Blankenburg, wenige Kilometer von Rudolstadt entfernt, den ersten deutschen Kindergarten und entwickelte Holzbausteine zum Spielen.

Die Brüder Gustav und Otto Lilienthal, die sich als Ingenieure auch mit Flugversuchen beschäftigten, produzierten nach einem alten Rezept 1875 erstmals aus Sand, Kreide und Leinöl Spielzeugsteine. Da sie ihr Produkt aber nicht clever genug vermarkteten, kaufte ihnen der Rudolstädter Kaufmann Friedrich Adolph Richter (1846-1910) das Patent ab und begann 1880 unter seinem Firmenlogo, dem Anker, mit der Produktion von Steinbaukästen. Bald beschäftigte er 650 Menschen in seiner Fabrik und wurde steinreich.

Der in Amsterdam gegründete Internationale Club der Ankerfreunde setzte sich nach der politischen Wende erfolgreich für ein Comeback der Ankerbausteine in Rudolstadt ein. Richtige Ankerfans haben schon solche Gebäude nachgebaut wie das Berliner Rote Rathaus, das Brandenburger Tor sowie den alten Bahnhof von Baden-Baden. Seit kurzem ist in dem Rudolstädter Betrieb ein neuer Pressautomat in Betrieb, der in einer Stunde so viele Steine produziert wie eine Mitarbeiterin in einer ganzen Schicht. Gut für das Weihnachtsgeschäft, das die Firma erstmals ohne Saisonkräfte bewältigen kann.