SPD-Grundsatzprogramm SPD-Grundsatzprogramm: Ein Wunschzettel übt die Quadratur des Kreises
Berlin/MZ. - Als Ergebnis einer acht Jahre währenden Programmdebatte wird dem Parteitag Ende Oktober stattdessen ein Entwurf zur Verabschiedung vorgelegt, der auf 36 Seiten die Quadratur des Kreises übt. Eine sich rapide verändernde Welt soll mittels unverändertem sozialdemokratischem Wertekanon gleichsam zivilisiert werden. "Nur wer sich gesichert weiß, wird Risiken eingehen" - das ist so ein eckiges Rund. Es ist bezeichnend, dass dem Satz die Ergänzung fehlt: Nur wer Risiken eingeht, kann Sicherheit erreichen.
Solch komplementäre Aussagen hätten das Konzept vom "vorsorgenden Sozialstaat" vorantreiben und weiterentwicklen können. Die SPD-Führung hätte den Grundwert der Solidarität nicht nur "zwischen Starken und Schwachen, zwischen Generationen, zwischen den Völkern" verorten können, sondern auch als Verpflichtung der Solidaritäts-Empfänger gegenüber der Solidarität übenden Gemeinschaft definieren sollen. Sie hätte Zumutungen, die unweigerlich allein aufgrund der Demographie in den kommenden Jahrzehnten den Menschen nicht erspart bleiben werden, mit dem ausdrücklichen Vertrauensbekenntnis in die Fähigkeiten jedes Einzelnen versehen können.
Ein Passus über das Versagen des Sozialstaates alter Prägung wäre der Überleitung dienlich gewesen, dass nicht nur die Welt sich verändert, sondern auch Menschenbild, Selbstverständnis und Grundwert-Gehalte der Sozialdemokratie einer Wandlung unterworfen sind, ja sein müssen. Ohne solche Ergänzung aber bleiben die fraglos zutreffenden Aussagen über die Aufgaben des vorsorgenden Sozialstaates Stückwerk. Vom Leitmotiv der Agenda 2010 bleibt nurmehr das Fördern übrig, ein "Sozialstaat plus".
Die Passagen, die sich dem mittels Chancen- und Teilhabegleichheit möglichen "selbstbestimmten Leben" widmen, lesen sich wie der Wunschzettel behütender Eltern, die besorgt das Treiben des Nachwuchs begleiten. Unausgesprochen klingt durch, dass Vater Staat noch immer am besten weiß, was das Beste sei, in "stolzer Tradition des demokratischen Sozialismus".
Von einem neuen Aufbruch nach Bad Godesberger Vorbild kann daher nicht die Rede sein. Mit dem konsequenten "Sowohl als auch" des Programm-Entwurfs wird der SPD-Parteitag gut leben können. Die Ausgestaltung der "Sozialen Demokratie im 21. Jahrhundert" muss warten.
Kontakt zum Autor:Stefan Sauer