Siemens trennt sich von Telefon-Hersteller
München/Starnberg/dpa. - Siemens steigt aus der wenig rentablen Produktion von Telefonen aus und trennt sich damit von letzten Überbleibsel des einstigen Kommunikationsbereichs.
Die Siemens Home and Office Communications (SHC) - bekannt für die Marke Gigaset - geht mehrheitlich an die Beteiligungsgesellschaft ARQUES. Dabei nimmt der Konzern einen Verlust in Kauf. Dieser summiere sich auf einen «mittleren zweistelligen Millionenbetrag», sagte Finanzchef Joe Kaeser am Freitag. Die Sicherung der Standorte und der Beschäftigung habe im Vordergrund gestanden, nicht ein Verkaufserlös. Der Kommunikationsbereich war die Keimzelle von Siemens und einst das größte Geschäftsfeld.
Seit der Pleite der ehemaligen Handy-Sparte unter dem Dach von BenQ Mobile legt Siemens großen Wert darauf, problematische Konzernteile nur mit guter finanzieller Ausstattung und weitreichenden Garantien abzugeben. So erhält SHC eine Geldspritze von 50 Millionen Euro. Die Pensionsverpflichtungen werden ausgelagert und damit nach den Worten Kaesers vor unbefugtem Zugriff gesichert. Zudem kann der neue Besitzer einen Kredit von bis zu 20 Millionen Euro in Anspruch nehmen im «Fall des Falles». Denn das Geschäft sei sehr zyklisch, vieles hänge von Weihnachten ab, sagte Kaeser.
Dass SHC restrukturiert werden muss, steht laut ARQUES-Chef Michael Schumann außer Frage trotz eines an und für sich «gesunden Kerngeschäfts» mit schnurlosen Telefonen. Dagegen müssten die anderen zwei Bereiche noch intensiv analysiert werden. Ziel sei es insbesondere, neue Märkte im Ausland zu erschließen. Einen genauen Restrukturierungsplan gebe es noch nicht. SHC stellt auch Zubehör für den schnellen Internetzugang sowie Empfänger fürs digitale Fernsehen her. Zwei Drittel des Umsatzes steuern die schnurlosen Telefone bei, SHC sieht sich hier als Marktführer.
Branchenkenner hatten schon seit Monaten einen Verkauf von SHC erwartet, da sich der Siemens-Konzern bis Ende kommenden Jahres vom Großteil seiner Randaktivitäten trennen will. Die Tochter war im vergangenen Geschäftsjahr 2006/2007 den roten Zahlen entkommen und leicht gewachsen. Der Gewinn lag bei 13 Millionen Euro, der Umsatz bei 792 Millionen Euro. Bei SHC arbeiten 2100 Menschen, zwei Drittel davon im Werk Bocholt. Für diesen Standort sowie die Münchener Zentrale mit ihren 250 Beschäftigten gilt eine dreijährige Bestandsgarantie.
Von Gewerkschaftsseite wurde der Besitzerwechsel begrüßt. «Mit dem Verkauf entsteht jetzt Klarheit für die Beschäftigten. Die quälende Hängepartie findet endlich ihr Ende», sagten Heinz Cholewa und Michael Leppek von der IG Metall. Der neue Besitzer ARQUES hat sich auf den Aufkauf von Unternehmen in Umbruchsituationen spezialisiert und ist hier nach eigenen Angaben führend in Europa. ARQUES gehört unter anderem der IT-Händler Actebis.
Siemens will die Übertragung von 80,2 Prozent der SHC-Anteile bis September abschließen, womit auch die Belastungen noch im laufenden Geschäftsjahr 2007/2008 gebucht würden. Damit dürfte der Gewinneinbruch im Schlussquartal noch drastischer ausfallen als bislang erwartet. Siemens will hier bereits die Kosten für die Trennung von seinem Telefonanlagen-Bau SEN sowie für den groß angelegten Stellenabbau verbuchen.
«Wir schließen das Kapitel Kommunikation bei Siemens», sagte Finanzchef Kaeser. Den verbliebenen Minderheitsanteil an SHC will der Konzern in nicht allzu ferner Zukunft abgeben. «Wir begleiten das noch für zwei Jahre.» So lange darf der neue Besitzer auch die Marke Siemens weiternutzen. «ARQUES wäre der natürliche Empfänger», sagte Kaeser mit Blick auf die 19,8 Prozent.
Der Konzern hatte sich nach und nach aus dem einst größten Geschäftsfeld Kommunikation zurückgezogen. Die Netzwerk-Aktivitäten gingen in das Gemeinschaftsunternehmen Nokia Siemens Networks, der Telefonanlagen-Bau SEN mit kräftiger finanzieller Unterstützung erst vor wenigen Tagen mehrheitlich an einen US-Finanzinvestor. Desaströs endete die Trennung von der Handysparte, der der neue taiwanesische Besitzer BenQ nach kurzer Zeit den Geldhahn zudrehte.