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Rücktritte Rücktritte: Tränen, Trauerspiele, Trostsuche

Von Ulrike John 16.12.2005, 10:51
Franziska van Almsick (r) interviewt die deutsche Schwimmerin Janine Pietsch während der Schwimm-WM in Montreal am Beckenrand (Archivfoto vom 23.07.2005). Die frühere Weltklasse-Schwimmerin hat bei der WM in Montreal die Seiten gewechselt und kommentiert erstmals als Expertin für die ARD ein großes Sportereignis. (Foto: dpa)
Franziska van Almsick (r) interviewt die deutsche Schwimmerin Janine Pietsch während der Schwimm-WM in Montreal am Beckenrand (Archivfoto vom 23.07.2005). Die frühere Weltklasse-Schwimmerin hat bei der WM in Montreal die Seiten gewechselt und kommentiert erstmals als Expertin für die ARD ein großes Sportereignis. (Foto: dpa) EPA

Stuttgart/dpa. - Abschied ist ein bisschen wie sterben - aber dasLeben geht trotzdem weiter. Eine ganze Reihe von deutschen Sportstarsist 2005 abgetreten. Schweren Herzens und mit lädierten Knochenmeistens, manchmal unter Tränen. Sven Hannawald, Astrid Kumbernuss,Christoph Langen, Hilde Gerg, Gunda Niemann-Stirnemann, HannahStockbauer und Vitali Klitschko suchen nun nach neuen Lebensinhalten.

Sie alle wissen: So gut wie ihre Disziplin werden sie nie mehretwas beherrschen. Und in wirtschaftlich schwierigen Zeiten müssenauch prominente Sportler mitunter um ein berufliches Standbeinkämpfen, schließlich kann nicht jeder Repräsentant eines früherenAusrüsters oder Co-Kommentator beim Fernsehen werden. Und einGlamourleben wie Boris Becker, der wie auch Ex-Schwimm-WeltmeisterinFranziska van Almsick in diesem Jahr so manche Prominentenpartyschmückte, kann sich nicht jeder zurückgetretene Leistungssportlerleisten.

Da das Selbstvertrauen mit den sportlichen Erfolgen gestiegen ist,sind die Ansprüche an die eigene Zukunft hoch. Ex-BoxweltmeisterVitali Klitschko, der ebenso einen Schlussstrich zog wie «Tiger»Dariusz Michalczewski, möchte als Quereinsteiger in die Politik undsagte nach seinem Rücktritt: «Wenn die Kiewer Bürger meineInitiativen unterstützen, schließe ich nicht aus, im März bei denBürgermeisterwahlen anzutreten.»

Nicht nur der 34-jährige Ukrainer zog nach einem Kreuzbandriss dieKonsequenzen aus seinem geschundenen Körper: Der zweimalige Bob-Olympiasieger Christoph Langen gab nach einem Herzinfarkt auf. VonRücktritten gebeutelt wie nie zuvor war der Deutsche Skiverband(DSV): Neben Florian Eckert, Max Rauffer und Regina Häusl gab auchHilde Gerg auf. Die Abfahrerin wurde von einer Knieverletzungausgebremst. Als sie bei einer Pressekonferenz in Gräfelfing am 21.November ihre Entscheidung bekannt gab, wurde sie von Weinkrämpfenüberwältigt. Auch die einstige Eisschnelllauf-Königin MoniqueGarbrecht-Enfeldt kämpfte bei ihrem Abschied gegen die Tränen. «Ichbin froh, dass sie jetzt meinen Herzschlag nicht hören», sagte dieneunmalige Weltmeisterin.

Ausgerechnet vor den Olympischen Winterspielen in Turin legtenauch Gunda Niemann-Stirnemann und Sven Hannawald ihre Karrieren aufEis. Bei beiden war es eine überfällige Entscheidung, bei der 39-jährigen Thüringerin gar ein unwürdiges Hick-Hack. Erst bezeichnetedie mit 3 Olympiasiegen, 19 WM- und 8 EM-Titeln erfolgreichsteEisschnellläuferin Gerüchte um einen Rücktritt als «absolutenBlödsinn», dann zog sie «wegen starker Rückenschmerzen» dieReißlinie. Der einstige Überflieger Sven Hannwald schaffte nacherfolgreicher Behandlung des Burn-out-Syndroms endgültig den Absprungvom aktiven Sport und kündigte an: «Ich werde in Zukunft sicherlichweiterhin in der Öffentlichkeit zu sehen sein.»

Auch die fünfmalige Schwimm-Weltmeisterin Hannah Stockbauer gingdurch die Hintertür. Es war «eine Entscheidung für einen neuenLebensabschnitt. Nach zehn Jahren, in denen sich das Leben komplettnach dem Sport ausgerichtet hat, habe ich nicht das Gefühl, dassetwas fehlen würde». Einen umjubelter Abschied feierte hingegen TinaTheune-Meyer: Die Frauenfußball-Nationalmannschaft bescherte ihrerTrainerin den 6. EM-Titel und «TTM» zeigte wenig Wehmut: «Ich gehemit einem lachenden und mit einem weinenden Auge, aber mehr mit einemlachenden.»

Im Elstal, im Olympischen Dorf der Spiele von 1936, bestrittAstrid Kumbernuss ihren letzten Wettkampf. 5000 Zuschauer kamen extrawegen ihr und nach ihrem letzten Stoß mit der Kugel auf 18,39 Meterheulte sie wie ein Schlosshund. Drei Mal war sie Weltmeisterin, einMal Olympiasiegerin. Jetzt studiert sie Pflegemanagement, in eineSenioren-Wohnanlage hat sie bereits investiert. Nicht nur Kumbernussgeht ihre Zukunft ganz pragmatisch an: Skirennläuferin Hilde Gergwill im Sommer das Haus ihrer Schwiegereltern am Königsee zu einerFerienpension umbauen, Ex-Schwimmerin Hannah Stockbauer macht eineAusbildung bei Siemens-Konzern in Erlangen. Rücktritt vom Rücktrittausgeschlossen.