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Rede von Horst Köhler Rede von Horst Köhler: Bußpredigt für Neuanfang

Von Sibylle Quenett 24.03.2009, 18:01

Halle/MZ. - Denn als früherer Chef des Internationalen Währungsfonds gelang es auch ihm nicht, für mehr Stabilität des internationalen Finanzsystems zu sorgen, trotz aller guten Vorsätze. Dass darin unausgesprochen auch ein Stück Eigenlob steckt - "immerhin habe ich schon im Jahr 2000 versucht, etwas zu ändern" - steht dem nicht entgegen. Niemand ließ er aus der Verantwortung. Weder die Regierung, für die es trotz der Bundestagswahl keine Beurlaubung geben könne, noch die Banken, die Durchblick und Weitsicht verloren hätten, noch uns alle, die "wir alle" über unsere Verhältnisse gelebt hätten.

Vor allem aber war es seine erste große Rede, in der er dem Glauben an weiteres Wirtschaftswachstum als Antwort auf wesentliche Widersprüche unserer Gesellschaft abschwor. Damit ist Köhler einen Schritt weiter gegangen als die Vertreter der großen Parteien, die bislang noch immer auf die Rückkehr auf den Wachstumspfad hoffen, um die Krise in den Griff zu bekommen. Köhler, der Ökonom, hat dem nun ein gerüttelt Maß an Skepsis entgegengesetzt, das man üblicherweise nur bei den Grünen findet.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), aber auch ihr Konkurrent um das Kanzleramt, Frank-Walter Steinmeier (SPD), werden an diesem Teil der Rede noch zu kauen haben. Denn tatsächlich müssen wir vermutlich lange warten, bis es wieder nennenswerte Wachstumsraten gibt. Das wird nicht zuletzt die Finanzierung unserer öffentlichen Kassen und Sozialsysteme belasten. Anders als Köhler müssen Merkel, Steinmeier und andere Politiker bald konkrete Antworten geben, wie dann unser Staat mit weniger Geld bei steigenden Ausgaben funktionieren kann.

Haltet inne und kehret um! Mit weniger, dafür aber eindringlicheren Worten als in seinen früheren Berliner Reden hat der Bundespräsident den ethisch-moralischen Neuanfang verlangt, damit die Dinge wieder gut werden. Dass er auch sagte, mehr Menschen würden ihre Arbeit verlieren und dass wir "Ohnmacht, Hilflosigkeit und Zorn" empfinden werden, gehörte nahezu zwingend zu einer Bußpredigt dazu.

Sicherlich darf man unterstellen, dass der Bundespräsident mit dieser Rede auch das Feld für seine Wiederwahl in der Bundesversammlung bereiten wollte. So wie die SPD-Kandidatin Gesine Schwan auf Überläufer im bürgerlichen Lager setzt, könnte sich jetzt der eine oder andere Grüne fragen, ob Köhler wirklich abgelöst werden muss.

Besser als in seinen früheren "Berliner Reden" hat der Bundespräsident das Format genutzt, um sich über eine begrenzte Zuhörerschaft hinaus Gehör zu verschaffen. Das ist legitim - und notwendig. Denn "die Krise" kann Köhler tatsächlich in ihren Ursachen und Konsequenzen vor seinem gesamten beruflichen Hintergrund besser erklären als fast alle anderen führenden Personen in Regierung und Parteien.

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