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Reaktion Reaktion: Streit der Volkswirte - Stagnation oder Rezession?

22.11.2001, 12:47

Frankfurt/Main/dpa. - Die Volkswirte der großen Banken sind nachder Veröffentlichung der schwachen Konjunkturdaten im 3. Quartalübereinstimmend der Auffassung, dass sich Deutschland in einer«ernsten ökonomischen Situation befindet». Auch dasBundesfinanzministerium räumt nach dem Rückgang desBruttoinlandsproduktes (BIP) im dritten Quartal um 0,1 Prozent ein,«dass die Risiken für die Konjunkturentwicklung größer gewordensind».

Strittig ist bei den Ökonomen derzeit, ob sich die Bundesrepublikbereits in einer Rezession befindet. Für den Chef-Volkswirt derDresdner Bank, Klaus Friedrich, ist die Lage eindeutig: «Wir sindmitten in der Rezession.» Bereits das zweite Quartal habe eine roteNull aufgewiesen, im dritten Vierteljahr sei diegesamtwirtschaftliche Leistung gesunken und für das Schlussquartal2001 sei ebenfalls eine Schrumpfung des BIP zu erwarten, betonteFriedrich. Der oberste Ökonom der Dresdner Bank lehnt sich dabei andie anglo-amerikanische Definition, wonach von Rezession gesprochenwerden kann, wenn in zwei aufeinanderfallenden Quartalen das BIP imVergleich zu den vorangegangenen drei Monaten abnimmt.

Commerzbank-Chefvolkswirt Ulrich Ramm interpretiert die aktuelleSituation vorsichtiger. «Bei Minusraten im Bagatell-Bereich kann mannoch nicht von Rezession sprechen.» Diese sei erst gegeben, wenn übereine längere Phase die Kapazitäten unterdurchschnittlich ausgelastetsind. «Das haben wir aber noch nicht.» Die jüngsten Daten desStatistischen Bundesamtes zeigten aber, dass die schwacheWeltkonjunktur nicht die entscheidende Ursache der Krise ist.Deutschland habe es mit fehlenden Reformen und schwacherInlandsnachfrage versäumt, selbst als Konjunkturlokomotive Impulsefür die Weltwirtschaft zu geben. Lichtblicke sieht Ramm derzeitlediglich in der starken Verringerung der Lagerhaltung. Wenn sich dieStimmung zum Positiven wende, führe dies sehr rasch zu einereffektiven Nachfrage.

Für die Volkswirte der Deutschen Bank kommt es weniger auf denStreit um Worte an. Schon die Fakten seien Besorgnis erregend. «Diedeutsche Wirtschaft wächst nicht mehr und dieAusrüstungsinvestitionen brechen ein», betonte der Leiter dervolkswirtschaftlichen Abteilung, Axel Siedenberg. Auch dasSchlussquartal und das erste Vierteljahr 2002 dürften nochmalsschwächer ausfallen. Das entscheidende Problem sei die schwacheInlandsnachfrage. Die Außenwirtschaft habe die Konjunktur sogargestützt. Für das Gesamtjahr 2001 rechnet die Deutsche Bank nur nochmit einem realen Wachstum von 0,5 Prozent.

Sowohl Friedrich als auch Siedenberg sehen die aktuell prekäreLage darin, dass erstmals seit Jahrzehnten in allen wichtigenRegionen - USA, Europa und Japan - gleichzeitig eine Krise herrscht.Die Hoffnungen richteten sich nun auf die USA, die mit massivenZinssenkungen und Steuerentlastungen eine Lokomotivfunktion für dieWeltwirtschaft übernehmen müsse. Eine starke Unterstützung gehe dabeivon den gesunkenen Ölpreisen aus.

Der Chefvolkswirt der DZ Bank, Michael Heise, sieht zumindest eine«rezessive Tendenz» in Deutschland. «Wir schaffen es nicht, dieinneren Kräfte für die Wirtschaftsdynamik zu mobilisieren.» Trotzmassiver außenwirtschaftlicher Impulse noch vor den Terroranschlägensei das BIP im Zeitraum Juli bis September zurückgegangen. Auch Heiseerwartet einen weiteren Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Leistungim vierten Quartal und in den ersten drei Monaten 2002. Dieentscheidenden Impulse zur Besserung könnten nur von den USA kommen.«Es muss schon mit dem Teufel zugehen, wenn die einzigartige Mischungvon Notenbank- und Haushaltspolitik keine positive Wirkung zeigt.»