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Porträt: Franz Müntefering

Von Karl-Heinz Reith 21.11.2007, 10:24

Berlin/dpa. - Ein Lieblingssatz von Franz Müntefering lautet: «Politik muss organisiert werden.» Gleichwohl war der 67-jährige SPD-Spitzenmann in seiner langen politischen Laufbahn stets für Überraschungen gut.

Im Umfeld des Vizekanzlers und Arbeitsministers hatten viele mitbekommen, wie nahe ihm das Schicksal seiner schwer krebskranken Frau Ankepetra (61) ging. Doch so sehr in der SPD seine Rücktrittsankündigung «ausschließlich aus familiären Gründen» auf Verständnis stieß - einen völligen Rückzug «Müntes» aus Partei und Politik kann sich so recht noch niemand vorstellen.

Auch seinen überraschenden Schritt am Dienstag letzter Woche hatte Müntefering wohl organisiert. Schon vor der Koalitionsrunde im Kanzleramt hatte er SPD-Parteichef Kurt Beck unterrichtet. SPD-Fraktionschef Peter Struck wurde kurze Zeit später hinzugezogen.

Nach dem Scheitern des Post-Mindestlohn-Projektes zog Müntefering dann am frühen Dienstagmorgen im Deutschlandfunk kampfesbereit wie eh und je über die Union und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) her und machte seiner Empörung über deren «Verweigerungshaltung» und «blanker Lobbypolitik» Luft. Nach dem weiteren Vorgehen der SPD gegen Lohn-Dumping gefragt, sagte er entschlossen: «Aufgeben tun wir nie.» Nur kurze Zeit später informierte Müntefering schließlich auch die Regierungschefin von seiner Entscheidung.

Erst vor drei Wochen - auf dem SPD-Bundespartei in Hamburg - hatte Müntefering mit dem Satz: «Es ist noch was da. Ich bin nicht ausgetrocknet» bei seinen Genossen Hoffnungen auf weitere politische Mitarbeit geweckt. Vorausgegangen war ein wochenlanger quälender Streit zwischen Müntefering und SPD-Chef Kurt Beck über die längere Zahlung des Arbeitslosengeldes I an Ältere - den Beck für sich entschied. Unter dem Jubel des Parteitages hatten beide dann ihre Aussöhnung demonstriert.

Tugenden wie Disziplin und absolute Geschlossenheit gehörten immer schon zu Münteferings Credo - gleich in welcher Funktion er in den über 40 Jahren SPD-Mitgliedschaft seiner Partei diente: Ob zunächst als Vorsitzender des SPD-mitgliederstärksten Bezirkes Westliches Westfalen, später als SPD-Landeschef von Nordrhein-Westfalen oder als Bundesvorsitzender in den turbulenten Monaten bis zur vorgezogenen Neuwahl und Bildung der großen Koalition im Herbst 2005.

Als SPD-Fraktionschef im Bundestag ging er zwischen 2002 und 2005 auch schon mal recht heftig gegen parteiinterne Kritiker und Abweichler aus der eigenen Fraktion vor. Für SPD-Kanzler Gerhard Schröder war er dabei die wichtigste Stütze bei der Durchsetzung der umstrittenen Agenda-Politik. Dabei hatte Müntefering die Rolle des SPD-Feuerwehrmannes auch früher schon mehrfach übernommen: Als es in den Anfängen der rot-grünen Regierung 1999 mächtig kriselte, gab der damalige Verkehrsminister überraschend seinen Kabinettsposten ab und ordnete fortan in der neu geschaffenen Parteifunktion eines Generalsekretärs die Geschicke der SPD.

Als Parteistratege gab sich Müntefering stets selbstbewusst: «Wahlkampf machen - das können wir.» Mitte der 90er Jahre hatte er der NRW-Landespolitik den Rücken gekehrt, um in Bonn als Bundesgeschäftsführer - unter dem damaligen SPD-Chef Oskar Lafontaine - das Wiedererstarken seiner Partei auch organisatorisch zu begleiten. Müntefering zählt zu den Hauptarchitekten des erfolgreichen SPD-Wahlkampfes von 1998, mit dem die Sozialdemokraten Helmut Kohl nach 16 Jahren Amtszeit aus dem Kanzleramt verdrängen konnten.

Der in Neheim-Hüsten geborene Arbeitersohn und gelernte Industriekaufmann war 1966 der SPD beigetreten - zur Zeiten der ersten großen Koalition in Bonn. Gern erzählt Müntefering, wie er in jenen Tagen als 26-jähriger an SPD-Fraktionschef Herbert Wehner bitterböse Protestbriefe wegen der Preisgabe sozialdemokratischer Positionen im ersten schwarz-roten Regierungsbündnis schrieb. «Der liebe Genosse Herbert» habe sich darum aber nicht geschert.

Nicht immer hatte Müntefering den politischen Erfolg auf seiner Seite. Weil er sich Ende Oktober 2005 als Parteivorsitzender im eigenen Vorstand mit seinem Personalvorschlag für den Generalsekretärsposten nicht durchsetzen konnte, kündigte er seinen Verzicht auf eine Wiederwahl an. «Sprachgeschichte» schrieb Müntefering sicherlich mit seiner Wortwahl «Heuschrecken» für umstrittene Finanzinvestoren, die Unternehmen aus reinem Profitinteresse zerschlagen. Erst wurde Müntefering dafür heftig kritisiert. Heute ist der Begriff in der Finanzwelt fest etabliert.

Privat durchlitt Müntefering mit seiner krebskranken Frau Ankepetra in den vergangenen Jahren immer wieder Wechselbäder zwischen Bangen und Hoffen. Als die Krankheit 2005 - mitten im Bundestagswahlkampf - erneut akut wurde, nutzte Müntefering jede freie Minute zwischen Auftritten und Terminen, um an ihrem Krankenbett in Berlin zu sein. Mit Rücksicht auf ihre Gesundheit verlegten die Münteferings in diesem Sommer ihren Hauptwohnsitz vom hektischen Berliner Zentrum ins beschauliche Bonn. «Ich werde mich jetzt der Aufgabe zuwenden, die meine wichtigste ist», sagte Müntefering. Zugleich machte er aber auch deutlich, dass er trotz seines Verzichts aus das Ministeramt politisch längst nicht müde sei: «Als Sozialdemokrat bleibe ich unterwegs.»