Zweiter Weltkrieg Zweiter Weltkrieg: Stalingrad gilt als Wendepunkt des Krieges
Wolgograd/dpa. - 70 Jahre nach der erbarmungslosen Kesselschlacht von Stalingrad soll aus dem Gedenken an das blutigste Gefecht des Zweiten Weltkriegs ein Versöhnungsfest werden. Zum Staatsakt an diesem Samstag, zu dem Kremlchef Wladimir Putin erwartet wird, reisen auch Nachkommen deutscher Soldaten in die Millionenstadt an der Wolga.
Wo mehr als 700.000 Deutsche und Russen ihr Leben ließen, reichen sich die Feinde von einst die Hände. Ein Konzert des Symphonieorchesters Osnabrück mit den Philharmonikern von Wolgograd, wie Stalingrad seit 1961 heißt, bildet den Abschluss des Gedenkens.
Viele Deutsche verbinden mit dem Namen „Stalingrad“ Scham für den verbrecherischen Krieg. Russland ist auch sieben Jahrzehnte nach dem Blutbad vor allem stolz auf seinen mit unermesslichem Leid errungenen Sieg. „In die Geschichte unseres Vaterlandes ist die Schlacht um Stalingrad als eines der hellsten Kapitel eingegangen“, betont Präsident Putin.
„Die Schlacht ist unser nationaler Stolz“, meint auch Alexej Wassin, der Direktor des Wolgograder Kriegsmuseums. Die damaligen Kämpfe hätten heute einen geradezu „sakralen Charakter“. Ein Volk ohne historisches Gedächtnis zerbreche auf Dauer, schreibt Vizeregierungschef Dmitri Rogosin zum 70. Jahrestag auf Twitter.
Für Hitler-Deutschland bedeutet die vernichtende Niederlage den Wendepunkt: Der Angriffskrieg wird zum Verteidigungskrieg, der zwei Jahre später 2700 Kilometer weiter östlich in Berlin mit der totalen Niederlange endet.
Als die 6. Armee im August 1942 auf Stalingrad vorrückt, liegt der deutsche Angriff auf die Sowjetunion mehr als ein Jahr zurück. Doch die vollständige Eroberung der Stadt gelingt nicht, Mitte November kreist die Rote Armee den Feind ein. Am 2. Februar 1943 kapituliert die Truppe unter Generalfeldmarschall Friedrich Paulus.
Etwa 150 000 Deutsche sterben bei Kämpfen oder bei Temperaturen von minus 43 Grad an Kälte oder Hunger. Rund 91 000 Mann geraten in Gefangenschaft, aus der nur 6000 zurückkehren. Die Zahl der sowjetischen Toten wird auf mindestens 500 000 geschätzt. Auch die Zahl der zivilen Opfer ist hoch. 1941 beträgt die Einwohnerzahl etwa 525 000, zwei Tage nach der Schlacht sind es noch 23 000.
Um welch hohen Preis der Triumph errungen wird, wagen russische Historiker erst seit dem Ende der Sowjetunion 1991 zu hinterfragen. Nicht nur Hitler, auch der Sowjetdiktator Josef Stalin opfert dem „Wahnsinn von Stalingrad“ Hunderttausende Leben. Widerstand in der Truppe habe es nicht oft gegeben, da unter Stalin der Heldenkult extrem ausgeprägt gewesen sei, sagt der Militärhistoriker Sergej Leonow. „Zudem wurden Befehlsverweigerer sofort erschossen.“
Das „nackte Grauen“ habe im Kessel von Stalingrad geherrscht, einem Gebiet von rund 50 Kilometern Durchmesser. „Leichenberge dienten als Kugelfang, und es kam auch zu Kannibalismus“, erklärt Leonow.
Dass Stalingrad für Soldaten beider Seiten die Hölle war, ist längst bekannt. Doch jetzt freigegebene Notizen sowjetischer Soldaten zeichnen ein noch schärferes Bild. Ihm sei es vorgekommen, als habe „die Erde tagelang Feuer geatmet“, berichtet Hauptmann Nikolai Axojonow. Jeder Soldat wollte „so viele Deutsche wie möglich umbringen“, hält der Offizier vor seinem Tod in Stalingrad fest. „An keinem anderen Ort in Europa hat es im Zweiten Weltkrieg ein solch verbissenes Ringen gegeben“, sagt der Militärhistoriker Thomas Vogel.
Zum 70. Jahrestag der deutschen Kapitulation an der Wolga plant der Kreml eine pompöse Feier mit einer Konferenz sowie Salutschüssen und einem Feuerwerk rund um den Mamajew-Hügel. Dort erinnert die gigantische Betonskulptur „Mutter Heimat ruft!“ seit 1967 an die Schlacht. Einen Tag lang wird die Stadt rund 1000 Kilometer südlich von Moskau zudem auf Wunsch von Veteranen symbolisch den Namen „Heldenstadt Stalingrad“ tragen. Eine vor allem von den Kommunisten geforderte ständige Rückbenennung soll es aber nicht geben.
„Stalingrad war ein Ort von Hass und Todfeindschaft“, erzählt der Veteran Wassili Matenkow. „Auch ich habe Deutsche getötet - weil ich es musste“, sagt der 90-Jährige dem russischen TV-Sender Westi. Mittlerweile sei Wolgograd aber zu einem Symbol für Versöhnung geworden. „Der deutsch-russische Soldatenfriedhof Rossoschka gilt seit der Einweihung 1999 als leuchtendes Zeichen“, meint Matenkow.