Zwangsarbeit in DDR-Gefängnissen Zwangsarbeit in DDR-Gefängnissen: Strumpfhosen und Werkzeug für den Westen

Berlin/Halle (saale)/MZ - Es ist gerade vier Wochen her, dass die Stasi-Unterlagenbehörde eine Studie über Zwangsarbeit in DDR-Gefängnissen veröffentlichte. Unter dem Titel „Knastware für den Klassenfeind“ kam der Forscher Tobias Wunschik zu dem Ergebnis, dass weitaus mehr westliche Unternehmen vom Einsatz von DDR-Häftlingen profitierten als bislang bekannt. Neben dem schwedischen Möbelkonzern Ikea sollen auch bundesdeutsche Firmen Möbel aus der DDR bezogen haben, die teilweise von politischen Gefangenen gefertigt wurden. So seien über einen Zwischenhändler die Firmen Neckermann, Quelle, Otto, Kaufhof, Horten, Hertie, Karstadt, Möbel Hess und Möbel Steinhoff beliefert worden. Der Studie zufolge wurden neben Möbeln auch andere Häftlings-Waren in den Westen exportiert. Zeitweise sollen sogar Blutkonserven der Häftlinge vom DDR-Regime verkauft worden sein. Die DDR habe in den 80er Jahren „Knastwaren“ im Wert von mindestens 200 Millionen D-Mark jährlich abgesetzt, so Wunschik. Am Dienstagabend lud die Stasi-Unterlagenbehörde Betroffene und Fachleute zur weiteren Aufarbeitung in Thüringens Berliner Landesvertretung.
Werkzeugkästen produziert
Zunächst berichteten die einstigen politischen Häftlinge Edda Schönherz, die in Hoheneck (Sachsen) einsaß, und Matthias Nagel, der in Halle inhaftiert war, von ihren Erfahrungen. Schönherz sprach von „Bedingungen unter aller Würde“, vom Drei-Schicht-System, gesundheitlichen Schäden und spärlicher Bezahlung. Zudem betonte sie: „Ich konnte die Arbeit nicht ablehnen.“ In Hoheneck wurden Strumpfhosen für den West-Export gefertigt. Nagel, der mit Anfang 20 einsaß, verwies darauf, dass Lkw der westdeutschen Salzgitter AG in Halle vorfuhren, um Material zu bringen, aus dem dann Werkzeugkästen für die Bundesrepublik produziert wurden.
In einer zweiten Runde diskutierten Experten über Konsequenzen. Behörden-Leiter Roland Jahn sieht eine Verantwortung der Unternehmen. Und Verantwortung bedeute an dieser Stelle erst einmal, die eigene Rolle zu hinterfragen. Ikea, so Jahn, habe sich dieser Verantwortung zumindest teilweise gestellt – etwa indem es dem Opferdachverband UOKG Geld für Forschungen gab. Der Vorsitzende des Beirates der Stasi-Unterlagenbehörde, Richard Schröder, fand es hingegen von vornherein „unfair“, die westlichen Unternehmen überhaupt auf die Anklagebank zu setzen. Dies sei gewissermaßen eine Ersatzhandlung dafür, dass man der eigentlich Verantwortlichen nicht mehr habhaft werden könne. Er fügte hinzu, der Ost-West-Handel sei Teil jener Entspannungspolitik gewesen, die letztlich die Mauer zum Einsturz gebracht habe.
Moralische Schuld
Bemerkenswert war der Auftritt des ehemals stellvertretenden Leiters der Haftanstalt Bautzen I, in der Zwangsarbeit ebenfalls an der Tagesordnung war. Auf die Frage, warum er denn diesen Beruf überhaupt ausgeübt habe, antwortete Frank Hiekel: „Aus egoistischen Motiven. Ich wollte Karriere machen.“ Er sei sich aber „völlig bewusst, dass ich moralische Schuld auf mich geladen habe.“ Jahn sagte später, Menschen erführen auch dadurch „Wiedergutmachung, dass solche Sätze fallen“.