Zum Tod von Günter Gaus Zum Tod von Günter Gaus: Als Quasi-Botschafter in Honeckers Reich

Berlin/MZ. - Zuletzt waren seine Interviews - stets mit dem Anspruch geführt, eine Haltbarkeitsdauer weit über den Sendetermin hinaus zu behalten und die befragte Person in möglichst vielenSchattierungen erlebbar zu machen -, nur noch eine Quälerei. Nicht für die geladenen Politiker, sondern für den Pflichtmenschen Günter Gaus, der sich zwischen Krankenhausaufenthalten und Chemotherapien diese selbst auferlegte Aufgabe trotz seines fortschreitenden Krebsleidensweiter abverlangte.
Die Freude des Fragens, des Hinterfragens, des beharrlichen, zuweilen penetranten Nach- und Um-die-Ecke-Fragens wurde zunehmend zur Fron. Am späten Freitagabendist Gaus in einer Hamburger Klinik gestorben.
Günter Gaus hat seinen Interviewpartnernnichts erspart, denn kaum etwas war ihm mehrzuwider als Gefälligkeitsjournalismus. Aberer hat sich zu einem ungeschriebenen Fairnessabkommenbekannt. Vor 40 Jahren erfand Gaus die imZDF ausgestrahlte Reihe "Zur Person" und entwickelteeine Gesprächskultur, die ihresgleichen sucht.Niemals machte Gaus, gelegentlich wegen seinesInsistierens gefürchtet, seine Sendung zumTribunal. Stets exzellent vorbereitet, hatGaus sich dabei selbst - auch optisch - zurückgenommen,weswegen man ihn bald den "bekanntesten HinterkopfDeutschlands" nannte.
Nach der Wende zog sich Gaus nach Reinbekbei Hamburg zurück. 2001 kehrte er der SPDden Rücken - aus Protes gegen die Art derSolidarität Deutschlands mit den USA nachden Ereignissen vom 11. September. Nur abund zu machte sich Gaus noch auf nach Potsdam,denn zuletzt wurde seine liebenswert altmodischwirkende Erfolgsreihe vom Rundfunk BerlinBrandenburg produziert. Irgendwie hatte Gaus,auch wenn die Zeit seit dem Mauerfall miteiner Brutalität über ihn hinweggegangen ist,wie sie sie sonst vielleicht nur ostdeutscheFunktionsträger erlebt und erlitten haben,noch ein wenig jener "wichtige Übersetzer"zwischen Ost und West bleiben wollen, alsden ihn der Bundespräsident gestern gewürdigthat.
Mit der Umsetzung der deutschen Einheit hatGaus sich auch 14 Jahre nach diesem historischenEinschnitt nicht recht anfreunden können.Er hat sie als "Sturzgeburt" empfunden undsich stets jenen verbunden gefühlt, die sich"drüben" als Wendeverlierer sehen. Und Kopfschüttelnhaben seine milden Urteile über politischeund sonstige Unfreiheit im Realsozialismussowie seine anerkennenden Bemerkungen fürdie Wandlungsfähigkeit einstiger SED-Genossenzu Verantwortungsträgern in einer demokratischgeläuterten PDS ausgelöst.
In der Bewertung der "deutschen Frage" nach1989 unterscheidet Gaus sich diametral vonseinem politischen Ziehvater Willy Brandt,der den ehemaligen "Spiegel"-Chefredakteur1973 als Staatssekretär ins Kanzleramt geholtund ihn nach Inkrafttreten des "Grundvertrages"zwischen Bonn und Ost-Berlin im folgendenJahr zum ersten "Ständigen Vertreter" in derDDR ernannt hatte.
Den Wechsel vom Journalisten zum Diplomatenvollzog Gaus mit Bravour. Sehr zum Leidwesender auf Informationen erpichten westdeutschenKorrespondenten verrichtete der Quasi-Botschafterin Honeckers Reich seinen Job, den er späteroft als Traumposten bezeichnet hat, ausgesprochendiskret. Der spröde Niedersachse erwies sichals Pragmatiker, der die Realität der Teilungakzeptierte. Als geschickter Unterhändlerkonnte er in 17 Abkommen der SED-Führung praktischeErleichterungen wie etwa pauschalierte Straßengebührenabtrotzen, von denen die DDR, chronisch klamman Devisen, ebenso profitierte wie die anmehr Normalität interessierte Bundesregierung.
Einer kritischen Bewertung seiner damaligenRolle hat sich Günter Gaus stets verweigert.Bürgerrechtler wie Bärbel Bohley warfen ihmvor, sie links liegen gelassen zu haben. SeinNachfolger Klaus Bölling, zuvor RegierungssprecherHelmut Schmidts und Abkömmling der gleichenZunft wie Gaus, warf ihm Leisetreterei gegenüberdem Regime vor. Derlei Vorwürfe kränkten Gaustief. Sein Verständnis von Entspannungspolitikvertrug sich nicht mit lautem Protest. Vielleichtwar er im vertrauten Zwei-Augen-Gespräch mitden damaligen Potentaten überhaupt nicht servil,sondern so bohrend wie in seinen Interviews.Wir wissen es nicht, denn über niemanden hatGünter Gaus weniger verraten als über sichselbst.