Widerstand aus Belgien Widerstand aus Belgien: Freihandelsabkommen Ceta droht zu scheitern

Brüssel - Der Tweet hat es in sich. „Ich werde der föderalen Regierung nicht die Vollmacht erteilen können. Die Zusagen sind nicht ausreichend“, sagte Paul Magnette, der Ministerpräsident des belgischen Landesteils Wallonie. Das war am Freitag. Der Satz birgt gleich doppelte Sprengkraft. Zum einen für die Ambitionen des Sozialdemokraten Magnette auf belgischer Bundesebene. Zum anderen für den Freihandelsakkord der EU mit Kanada: Ceta. Am Dienstag soll der Vertrag im Kreis der EU-Handelsminister besiegelt werden. Reine Formsache. So dachten viele. Der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat nur neunzig Minuten für das Treffen eingeplant. Nun droht eine Krisenrunde. Ceta wackelt. Mal wieder.
Gekippt hat das Abkommen nicht das Bundesverfassungsgericht, auch nicht der zu leichter Selbstüberschätzung neigende Anti-Ceta-Späteinsteiger Thilo Bode. Am Vertrag rüttelt der südliche belgische Landesteil Wallonie.
Über den Atlantik schwappte schon ein Lästern. „Mit wem will Europa künftig noch etwas regeln“, klagte Kanadas Regierungschef Justin Trudeau. Der Sozialliberale gilt jenseits des Atlantiks als Progressiver (oder was Nordamerika dafür hält). Am 27. Oktober wollte Trudeau eigentlich auf einem eigens in Brüssel anberaumten EU-Kanada-Gipfel Ceta besiegeln. Nun sind Krisenrunden zur Rettung angesagt.
Wallonie macht mobil
Belgiens liberaler Außen(handels)minister Didier Reynders muss am Dienstag im Kreis mit den EU-Kollegen retten, was zu retten ist. Tags zuvor verhandelt in Belgien die Zentralregierung mit den Regionen über einen Ausweg.
Und warum brodelt es gerade in Belgien? Die deutsche Lufthansa übernimmt Brussels, die traurigen Reste der einst stolzen nationalen Fluglinie Sabena. Ein chinesischer Investor will den Energienetzbetreiber Eandis aufkaufen. Das Land fühlt sich von den bösen Mächten der Globalisierung kräftig durchgeschüttelt. Besonders heftig trifft es die südliche Wallonie. Der nordamerikanische Baumaschinenhersteller Caterpillar schließt sein Werk in Charleroi, die Stadt ohnehin von der Krise der Stahlindustrie getroffen. Die niederländische Bank ING kürzt in Belgien tausende Stellen, allein zweihundert davon der wallonischen Kapitale Naumur.
Der typische Süd-Nord-Vergleich, hört sich gut an. Nord-Süd, römische Zivilisation gegen nordische Barbaren. Klingt schön. Passt aber in dem Fall nicht ganz. Zentrum des Widerstands liegt in Deutschland und Österreich. Sehr nördlich also. Die Wirtschaftsforscherin Galina Kolev vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat den Freihandelsprotest untersucht. Demnach zieht er sich in Deutschland durch alle Altersgruppen und verläuft quer zu Parteizugehörigkeiten. Dennoch lassen sich grundsätzlich zwei Gruppen unterscheiden: den klassischen Globalisierungskritiker, die Generation der Attacisierer. Und den eher älteren Besitzstandswahrer, der nix gegen Export hat, wohl aber gegen Veränderung – vor allem in seiner Alltagswelt, dann wird er zum Wutbürger. Dann greifen viele Befürchtungen, etwa der Privatisierungen kommunaler Stadtwerke.
In der Kommunikation viel verpasst
Der französische Soziologe Michel de Certeau hat dafür die Unterscheidung zwischen Raum und Ort gefunden. Im Raum bewegen sich die Eliten, auch die junge Generation Erasmus, sie begreifen offene Grenzen als Chance. Am Ort sind die Hintersassen der Globalisierung, sie begreifen jede Veränderung der Alltagswelt als Bedrohung. „Aus Sicht weiter Teile der Bevölkerung ist die EU ein Verbündeter der Globalisierung mit ihren Güter und Menschenströmen, keine Bastion dagegen. Solange sie keine Balance zwischen Freiheit und Schutz findet, werden auch weiterhin große Wählergruppen beim Nationalstaat Schutz vor Europa suchen“, notiert der niederländische Rechtsphilosoph Luuk van Middelaar, in seinem jetzt auf Deutsch erschienen lesenswerten Buch. „Vom Kontinent zur Union. Gegenwart und Geschichte des vereinten Europa“.
Was Middelaar über die EU feststellt, lässt sich auch auf den Protest gegen Freihandelsabkommen sagen. Es herrscht ein Konflikt zwischen Mobilen und Sesshaften, Raum und Ort. Das Problem der Politik ist die Kommunikation. Und da hat Europa nicht nur bei Ceta manches verpasst. Wird also eng für das Abkommen. Und für Europa. Wie sagte Kanadas sozialliberaler Hoffnungsträger Justin Trudeau: Wem will Europa noch trauen. Es wird einsam um die EU.