1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Waldkindergärten: Waldkindergärten: Spielen an frischer Luft stärkt das Immunsystem

Waldkindergärten Waldkindergärten: Spielen an frischer Luft stärkt das Immunsystem

Von Christian Wiesel 27.10.2008, 12:56
Die Knirpse aus dem Waldkindergarten Ilmenau spielen im Wald. Bis zum Mittagessen spielen die 20 Kinder draußen, basteln mit Laub und Kastanien, schnitzen Äste, bauen sich Höhlen oder Laufen beim Bewegungsparcours um die Wette. (FOTO: DPA)
Die Knirpse aus dem Waldkindergarten Ilmenau spielen im Wald. Bis zum Mittagessen spielen die 20 Kinder draußen, basteln mit Laub und Kastanien, schnitzen Äste, bauen sich Höhlen oder Laufen beim Bewegungsparcours um die Wette. (FOTO: DPA) dpa-Zentralbild

Ilmenau/dpa. - Die ungewöhnliche Kindergarten-Form setzt sich langsam durch: Der ersteWaldkindergarten wurde nach Angaben des Verbandes Naturkindergärten 1993 in Flensburg gegründet. «Dann ging es lawinenartig weiter», sagt Vorsitzende Maria-Luise Sander. Derzeit gibt es deutschlandweit mehr als 800 solcher Einrichtungen.

Carl und Tamino gehen zusammen mit 20 anderen Knirpsen in denIlmenauer Waldkindergarten. Sie basteln mit Laub und Kastanien,schnitzen Äste und bauen sich Höhlen. Zählen lernen sie mitFichtenzapfen, und der Sport besteht aus einem Parcours durch die Bäume. «Morgenkreis und Frühstück, das machen wir alles draußen», sagt Erzieherin Silke Rohden. Nur bei Sturm oder Temperaturen unter minus 15 Grad Celsius zieht sich die Gruppe in ein massives Haus zurück.

«Am Anfang hieß es noch: "So eine verrückte Idee"», sagt dieVerbandsvorsitzende Sander. «Heute kann mir keiner mehr weiß machen, dass das nur eine Eintagsfliege ist.» Für Thüringen schätzt sie die Zahl der Waldkindergärten zwischen 10 und 15. «Im Osten kommt die Idee jetzt erst so richtig raus.»

Die Verfechter müssen noch immer gegen Vorbehalte kämpfen: Spielen im Wald ist gefährlich, die Kinder verwildern und können später in der Schule nicht ruhig sitzen. «Aus wissenschaftlicher Sicht ist das alles unbegründet», sagt Rainer Brämer, Natursoziologe an der Universität Marburg. «Studien fallen regelmäßig positiv für Waldkindergärten aus.» Die Kinder seien kreativer, wüssten mehr über Tiere und Pflanzen, könnten Probleme besser lösen und sich besserbewegen.

Einzig die Gefahr, an von Zecken übertragenen KrankheitenBorreliose oder Meningitis zu erkranken, ist nach Angaben desWissenschaftlers höher. Das kann aber durch Absuchen oder eineImpfung verringert werden.

Unbegründet ist für Erzieherin Rohden auch das Argument, dass sich die Kinder häufiger erkälten. «Klar sind unsere Kinder auch krank, aber keineswegs mehr als andere.» Im Gegenteil, das Spielen an der frischen Luft stärke das Immunsystem. Auch von einer Häufung von Unfällen könne nicht die Rede sein. «Gefährlich ist doch relativ, auch Fahrrad fahren kann für ein Kind riskant sein», sagt Maria-LuiseSander vom Bundesverband.

Immer mehr Eltern suchen ihrer Erfahrung nach bewusst dieAlternative zum herkömmlichen Kindergarten. «Sie merken, dass ihren Kindern etwas fehlt. Sie sind nicht mehr so in der Natur, wie die Eltern es selbst als Kinder waren.» Diesen Trend spürt auch der Ilmenauer Waldkindergarten. «Unsere Warteliste ist voll bis ins Jahr 2011», sagt Rohden.

Tatsächlich konstatieren Wissenschaftler bei Kindern einezunehmende Entfremdung von der Natur. Jeder dritte Schüler zwischen 12 und 15 Jahren habe noch nie einen Käfer oder Schmetterling auf der Hand gehabt; jeder Vierte noch nie ein Reh beobachtet, erklärt Natursoziologe Brämer.

Kinder hätten immer weniger Lust, etwas im Freien zu unternehmen. «Sie hocken lieber vorm Computer. Natur ist für die einfach langweilig geworden, weil sie nicht von klein an dafür sensibilisiert wurden.» Der Experte fordert daher ein generelles Umdenken: «Waldkindergarten - das müsste der Regelfall in der deutschen Kindergartenlandschaft werden.»