Wahlkampfjahr 2017 Wahlkampfjahr 2017: Die AfD will systematisch provozieren

Berlin - Wenn dich einer partout nicht auf die Wange schlagen will – auf welche auch immer –, dann bring ihn irgendwie dazu, es doch zu tun. So in etwa lässt sich ein Leitmotto auf den Punkt bringen, das sich in einem internen Strategiepapier der AfD für das Wahljahr 2017 findet. Mit „sorgfältig geplanten Provokationen“ wolle man die anderen Parteien zu nervösen und unfairen Reaktionen verleiten, heißt es in dem Papier, das der Bundesvorstand bereits in einer Telefonkonferenz verabschiedet hat. Und weiter: Je mehr die AfD von der Konkurrenz stigmatisiert werde, „desto positiver ist das für das Profil der Partei“.
Der Mann, der das Papier nach eigenen Angaben erarbeitet hat, heißt Georg Pazderski. Der Chef des Berliner Landesverbandes, zugleich Mitglied des Bundesvorstandes, ist für seinen freundlichen, seriös anmutenden Auftritt bekannt. Der 65 Jahre alte, pensionierte Bundeswehroffizier ist keiner, der ständig durch schrille, aggressive Äußerungen auffällt. Aber er hat im Wahlkampf zum Berliner Abgeordnetenhaus in einer Diskussion über die Wahrnehmung von Ausländerkriminalität auch schon deutlich erkennen lassen, dass es ihm in der politischen Auseinandersetzung nicht nur um Fakten geht. „Das, was man fühlt, ist auch Realität“, sagte er im September.
Pazderski erläuterte die geplante Strategie der Bundespartei im Gespräch mit dieser Zeitung jetzt so: Es gehe im Wahljahr 2017 darum, dass die AfD unterschiedliche, vielversprechende Zielgruppen anspreche – vom bisherigen Nichtwähler bis hin zu jenen im konservativen Lager, die enttäuscht von der Union und den anderen Parteien seien. „Die Flüchtlingskrise, das Problem mit dem politischen Islam, innere Sicherheit und der jämmerliche Zustand der EU sowie der Eurozone werden eine entscheidende Rolle spielen. Es gibt aber weitere wichtige Schwerpunkte, etwa die Familien- und Rentenpolitik“, sagte er. Das bedeutet: Natürlich will die AfD vor allem mit Angriffen auf die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und mit Anti-Islam-Parolen punkten. Aber um möglichst viele anzusprechen, sollen, wo es passt, noch andere Themenkarten gespielt werden.
Auch andere Themenfelder ansprechen
So plakativ und, was die Pläne der AfD angeht, treffend die Formulierung mit den „sorgfältig geplanten Provokation“ im Strategiepapier des Bundesvorstands ist, so sehr hat sich in der Praxis gezeigt: Die AfD fährt vielfach eine Doppelstrategie. Während in den sozialen Netzwerken etwa nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin mit der maximalen verbalen Härte operiert wurde („Es sind Merkels Tote“), fiel manche offiziell herausgegebene Presseerklärung im Ton dann doch getragener aus. Zudem passen Protagonisten der Partei ihre Haltung immer wieder taktisch an: So war etwa vor dem Wahlsieg Donald Trumps in Amerika mehrfach von AfD-Politikern zu hören, wäre man Amerikaner, man würde weder Trump noch Clinton wählen wollen. Hinterher feierte die Partei den Sieg Trumps als „Zeitenwende“.
Die AfD hat im vergangenen Jahr bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern mehr als 20 Prozent und in Sachsen-Anhalt sogar fast 25 Prozent erreicht. Sie liegt in bundesweiten Umfragen stabil über zehn Prozent, teils um die 15 Prozent. Wenn sie in den Bundestag einzieht, kann das die Statik des Parteiensystems erheblich verändern – in der Art, dass sich außerhalb der großen Koalition von Union und SPD vielfach nur noch Dreierkonstellationen rechnen.
AfD kann sich nur selbst stoppen
Haben die anderen Parteien noch eine Chance, den Siegeszug der AfD aufzuhalten? Da sie sich schwertun, eine erfolgreiche Strategie zu finden, lautet die Antwort womöglich: Den Erfolg der AfD verhindern könnte – abgesehen von den Wählern natürlich – am ehesten die AfD selbst. Denn die Parteispitze ist zerstritten, es regieren Missgunst und Intrigen. Parteichefin Frauke Petry ist zwar bei vielen Mitgliedern beliebt, aber im Bundesvorstand weitgehend isoliert. Im Politischen wie im Privaten bildet sie ein Paar mit dem nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Marcus Pretzell, den sie vor kurzem geheiratet hat. Das Duo geht vielen anderen führenden Köpfen in der AfD mit Alleingängen auf die Nerven.
Das Gegenlager wiederum ist ein illustres Bündnis, in dem sich unter anderem Petrys Co-Parteichef Jörg Meuthen, der brandenburgische Fraktionschef Alexander Gauland und auch der Thüringer Björn Höcke zusammengeschlossen haben. Auch der Berliner Landeschef Pazderski gehört dazu. Petrys Gegner haben durchgesetzt, dass sie nicht alleinige AfD-Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl werden soll. Da Meuthen nicht für den Bundestag kandidiert, gilt Gauland neben Petry als gesetzt. Unklar ist, ob es noch mehr Spitzenkandidaten geben soll. Das Bizarre: Meuthen präsentiert sich selbst gern als vergleichsweise moderat, sein Bündnispartner Höcke ist auch für AfD-Verhältnisse ein extremer Rechtsausleger. Über die Sache mit den „sorgfältig geplanten Provokationen“ dürften sie auch mit Petry und Pretzell einig sein.
Auf die AfD wartet zwar ein weiteres Jahr voller Machtkämpfe. Dabei geht es aber nicht um Inhalte oder die Strategien, sondern auch um persönliche Antipathien.