Wahlkampf Wahlkampf: «Die Frustrierten» wehren sich gegen Edmund Stoibers Kritik

Berlin/München/dpa. - Aufgeschreckt durch die Aussagen gingen zunächst ostdeutsche CDU-Politiker, dann aber auch die CDU-Spitze zu Stoiber auf Distanz.
Der CSU-Vorsitzende hatte unter anderem erklärt, dass die Wahlnicht wieder im Osten entschieden werden dürfe und nicht die«Frustrierten» das Schicksal des Landes bestimmen sollten. FührendeCSU-Politiker versuchten, Stoibers Aussagen zu entschärfen. Internwurden sie aber selbst dort als schädlich für den Wahlkampfeingestuft. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) warf demMinisterpräsidenten «mangelnden demokratischen Respekt» vor.Parteienforscher sehen nun die Wahlchancen der Union im Ostenschwinden, wo sie nach eigener Zielsetzung wieder stärkste Parteiwerden will.
Inzwischen berichteten die Badischen Neuesten Nachrichten»(Freitag), auch der baden-württembergische Ministerpräsident GüntherOettinger (CDU) habe sich kritisch mit dem Wahlverhalten derOstdeutschen auseinander gesetzt. Oettinger habe am vergangenenFreitag in einer Rede in Pforzheim gesagt: «Die Linken und dieMutlosen im Osten Deutschlands dürfen nicht entscheiden, wieDeutschland regiert wird.» Vom Staatsministerium in Stuttgart warzunächst keine Stellungnahme zu erhalten.
Stoiber wies den Vorwurf der Wählerbeschimpfung zurück. «MeineÄußerungen werden missgedeutet. Ich beschimpfe niemanden. Ich möchtewachrütteln», sagte er der «Bild»-Zeitung (Freitag). Es sei in derpolitischen Diskussion «viel zu wenig bewusst, welche Folgen eshätte, wenn (die Spitzenkandidaten der Linkspartei Oskar) Lafontaineund (Gregor) Gysi über die künftige Bundesregierung mitentscheidenwürden». Er kämpfe mit Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel (CDU)an vorderster Front.
Die CDU-Vorsitzende äußerte sich zunächst nicht zu StoibersAussage. CDU-Generalsekretär Volker Kauder lehnte im «ReutlingerGeneral-Anzeiger» (Freitag) aber jede Differenzierung von Wählern ab.«Für mich ist völlig klar, dass es überall in Deutschland kluge undvernünftige Leute gibt.» Darauf angesprochen, ob sich Stoiberentschuldigen solle, verneinte Kauder dies nicht, sondern entgegnete:«Es ist nicht meine Aufgabe, dem bayerischen MinisterpräsidentenRatschläge zu erteilen.»
Wenige Tage zuvor hatte Brandenburgs CDU-Innenminister JörgSchönbohm im Zusammenhang mit dem Fund von neun Babyleichen mit derThese für Aufruhr gesorgt, wonach die «erzwungene Proletarisierung»zu DDR-Zeiten für die große Gewaltbereitschaft im Ostenverantwortlich sei. Schönbohm hatte sich dafür entschuldigt.
Wie erst jetzt bekannt wurde, hatte Stoiber schon in dervergangenen Woche auf einem Dorffest in Argenbühl in Baden-Württemberg erklärt: «Ich akzeptiere es nicht, dass letzten Endeserneut der Osten bestimmt, wer in Deutschland Kanzler wird. ... Esdarf nicht sein, dass letztlich die Frustrierten über das SchicksalDeutschlands bestimmen.»
Im bayerischen Schwandorf bekräftigte Stoiber am Mittwochabendsinngemäß seine Kritik: «Wenn es überall so wäre wie in Bayern,hätten wir überhaupt keine Probleme», sagte er laut Aufzeichnung desBayerischen Rundfunks. Leider gebe es nicht «überall so klugeBevölkerungsteile wie in Bayern», fügte Stoiber hinzu.
Schröder warf ihm vor, dem Einheitsprozess in Deutschland massivgeschadet zu haben. «Stoibers Äußerung zementiert die Spaltung undbeleidigt Menschen, die ein Leben unter schwierigeren Bedingungenvorzuweisen haben, als wir es im Westen hatten», sagte er der«Sächsischen Zeitung» (Freitag).
SPD-Chef Franz Müntefering forderte Stoiber auf, sich für seineÄußerungen über die Ostdeutschen zu entschuldigen. «Das, was Stoibermacht, ist ungehörig gegenüber den Menschen in den neuen Ländern, undes wäre gut, wenn er das schnell korrigieren würde», sagte er inKiel. «Stoiber soll aufhören, Deutschland auseinander zu dividieren»,forderte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt.
Die FDP-Spitze grenzte sich scharf von Stoiber ab. «Es ist völligfalsch, wenn im Wahlkampf West gegen Ost und Ost gegen Westausgespielt wird», sagte FDP-Parteichef Guido Westerwelle.
Kritisch war auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident WolfgangBöhmer (CDU). «Ich bedauere missdeutbare Aussagen im Wahlkampf, dieunnötigerweise zu einer Emotionalisierung führen und von dernotwendigen Sachdiskussion ablenken», sagte Böhmer in Magdeburg.
Die Linkspartei sprach davon, Stoiber spiele «wilde Sau». Erversuche, Aversionen gegen den Osten zu schüren, um damit aufWählerfang zu gehen, erklärte Bundeswahlkampfleiter Bodo Ramelow.
Der Politologe Peter Lösche bezeichnete die Aussagen Stoibers als«extrem kontraproduktiv» für die Union. «Potenzielle Wähler der Unionnicht nur im Osten werden verschreckt», sagte er der dpa. Ähnlichäußerte sich sein Kollege Heinrich Oberreuter im «Münchner Merkur».
