Wahlergebnis in Afghanistan bleibt unklar
Kabul/Brüssel/dpa. - Zwei Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan ist die Untersuchung des massiven Wahlbetrugs offiziell abgeschlossen, ein Ergebnis der Abstimmung aber weiterhin unklar.
Die UN-unterstützte Beschwerdekommission (ECC) teilte am Montag mit, sie habe ihre Entscheidungen an die Wahlkommission (IEC) übermittelt. Aus der ECC-Mitteilung ging jedoch nicht hervor, ob Amtsinhaber Hamid Karsai nach Abzug gefälschter Stimmen eine absolute Mehrheit im ersten Wahlgang verfehlt hat. Die britische BBC zitierte am Montag nicht namentlich genannte Quellen, wonach Karsai keine absolute Mehrheit habe. Dann wäre laut Verfassung eine Stichwahl zwischen ihm und Ex-Außenminister Abdullah Abdullah notwendig.
Der Abschluss der ECC-Untersuchung ist Bedingung dafür, dass die Wahlkommission ein um die gefälschten Stimmen bereinigtes amtliches Endergebnis verkünden darf. Ein IEC-Sprecher sagte am Montag, bis zur Verkündung könnten noch bis zu zwei Tage vergehen. Am Wochenende hatte es aus diplomatischen Kreisen geheißen, Karsai wehre sich gegen die Bekanntgabe eines Endergebnisses, demzufolge er keine absolute Mehrheit mehr hätte. Die «New York Times» und die «Washington Post» hatten bereits am Freitag berichtet, Karsai habe nach Abzug gefälschter Stimmen keine 50 Prozent mehr.
Karsais Kampagnen-Manager Wahid Omar sagte am Montag, es sei sehr schwierig, Schlüsse aus der ECC-Analyse zu ziehen, die «sehr technisch» sei. Es gelte weiterhin, ein amtliches Endergebnis der Wahl vom 20. August abzuwarten. Die Veröffentlichung der ECC-Analyse wurde in den vergangenen Tagen immer wieder verschoben. Die ECC hatte die Betrugsvorwürfe stichprobenartig untersucht. Die IEC muss das Endergebnis nun nach einer komplizierten Formel anpassen.
Nach dem Wahlgesetz sind Entscheidungen der ECC nicht anfechtbar. Dennoch wurde in Kabul spekuliert, die Wahlkommission - die als parteiisch für Karsai gilt - könnte das Verfassungsgericht anrufen, sollte der Amtsinhaber keine absolute Mehrheit mehr haben. Die Staatengemeinschaft hatte in den vergangenen Tagen ihre Anstrengungen verstärkt, die eskalierende Krise am Hindukusch zu entschärfen.
Nach dem Mitte September verkündeten vorläufigen Ergebnis hatte Karsai 54,6 Prozent der Stimmen. Abdullah folgte mit 27,8 Prozent. Bei der Wahl war es nach UN-Angaben zu massivem Betrug gekommen. Die meisten verdächtigen Stimmen waren von EU-Wahlbeobachtern Karsai angelastet worden. Karsai hatte die Beobachter scharf kritisiert.
Sollte kein Kandidat eine absolute Mehrheit haben, sieht Artikel 61 der Verfassung eine Stichwahl binnen zwei Wochen vor. Das gilt angesichts der knappen Zeit als schwierig umzusetzen. Eine Verzögerung würde aber bedeuten, dass in Teilen des Landes der bevorstehende Wintereinbruch eine Abstimmung unmöglich machen könnte. Befürchtet wird zudem, dass sich an einer zweiten Wahlrunde wegen der schlechten Sicherheitslage und der Wahlmüdigkeit noch weniger Afghanen beteiligen als an der Abstimmung im August. Damals lag die Wahlbeteiligung nach Angaben der IEC bei 38,7 Prozent. Die Vereinten Nationen bereiten sich dennoch auf eine mögliche Stichwahl vor. Als spätester Termin für eine Abstimmung gilt Anfang November.
NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen forderte rasche Klarheit über das Wahlergebnis und die künftige Regierung in Afghanistan. «Die Zeit ist nicht auf unserer Seite», sagte Rasmussen am Montag in Brüssel vor Journalisten unter Bezug auf die von der NATO geführte knapp 68 000 Soldaten starke Afghanistan-Schutztruppe ISAF. «Wir brauchen rasche Entscheidungen. Aber wir brauchen auch eine Sicherheit, dass wir eine stabile Regierung in Kabul haben, mit der wir zusammenarbeiten können und die von der Bevölkerung als glaubwürdig akzeptiert wird.»
Die Europäische Union forderte einen zweiten Wahlgang, falls dies nach Veröffentlichung des Endergebnisses nötig sei. «Jeder, der Teil des Wahlprozesses war, sollte alle Teile des vereinbarten Regelwerks einschließlich der Arbeit der Beschwerdekommission akzeptieren», sagte der schwedische Außenminister Carl Bildt in Brüssel. «Wenn die Ergebnisse eine zweite Runde erfordern, dann muss eine zweite Wahlrunde stattfinden.»