Vatikan Vatikan: Große Gesten trotz Krankheit

Rom/dpa. - Als er seine großen Triumphe feierte, war er längst alt und gebrechlich, und es sind nicht Worte, sondern Gesten, die die Welt begeistern. Zum Beispiel im Jubiläumsjahr 2000 in Jerusalem. Qualvoll und mühsam schleppt sich Papst Johannes Paul II. an die Klagemauer in Jerusalem. Allein, bis auf die Kameras und die Millionen Menschen, die rund um den Erdball zuschauen. Da verharrt der Bischof in Weiß zum Gebet und steckt nach uralter jüdischer Sitte einen «Bittbrief an Gott» in eine Mauerritze. Die Kameras zoomen - auf dem Papier ist die Vergebungsbitte für die Judenverfolgungen zu lesen.
«Der große Kommunikator», nennen ihn viele auf Neudeutsch, «Menschenfischer» wäre ein etwas altmodisches Wort. Wer den Papst aus der Nähe erlebt, denkt unwillkürlich daran, dass er in seiner Jugend Schauspieler war. In seinen Studentenjahren spielte Karol Wojtyla begeistert auf einer Studentenbühne, eigentlich wollte er Dichter werden. Gelernt hat er damals allemal. Die Gesten, große wie kleine, die Gläubige wie Laien gleichermaßen mitreißen, sind geradezu «Markenzeichen» seines Pontifikats - selbst Papstkritiker räumen dies ein.
Zum Beispiel am 16. Oktober 1978, gegen Abend, der weiße Rauch ist gerade aus der Sixtinischen Kapelle aufgestiegen, der neue Papst tritt auf die Loggia des Petersdoms. Kaum gewählt und schon bricht der Pole mit dem höfischen Zeremoniell. Er spricht zu den Menschen auf dem Petersplatz: «Ich weiß nicht, ob ich mich in Eurer...äh, in unserer Sprache gut ausdrücken kann. Wenn ich Fehler mache, korrigiert mich!» Kaum eine Stunde war er Papst, schon hatte er die Herzen der Italiener erobert - der «große Kommunikator» eben.
Journalisten versuchten, das Besondere des Mannes auf den Begriff zu bringen. «Den ganz weltlichen Charme des Pontifex maximus», nannten sie das. Sie priesen seinen Humor, fotografierten ihn, wenn er wanderte. Die Menschen genossen seine Offenheit, wenn er auf Reisen ging, skandierten Gläubige: «Karol Wojtyla Superstar!»
«Kein Papst bemühte sich mehr, als ganz normaler Mensch zu erscheinen», meinte ein Biograf. Der spanische Vatikanist Juan Arias schrieb einmal, wenn Johannes Paul II. «plötzlich seine Frau und seine Kinder vorstellen würde - das wäre zwar ein Riesenskandal. Aber gleichzeitig eine ganz natürliche Sache.»
Doch trotz Humors und ironischer Spitzen, ein heiterer Mensch ist dieser Papst wohl kaum. «Armer Papst: Ihm bleibt auch nichts erspart», meint denn eine italienische Zeitung. «Auf ihn hat der Türke Ali Aca geschossen. Sein ganzes Leben ist von Grausamkeiten markiert. Er war 20 Jahre alt, als in Krakau die Deutschen einmarschierten, als sie Menschen deportierten und töteten.»
Der Mann, der noch vor ein paar Jahren mit Bob Dylan auf der Bühne saß, kauert heute tief gebeugt im Rollstuhl. Noch vor ein paar Jahren begeistere er seine Zuschauer, wenn er seine kleinen Einlagen mit dem Stock vorspielte. Feixend fuchtelte er mit dem Holz in der Luft, augenzwinkernd und im Takt der Musik stampfte er damit auf den Boden, ganz der alte Schauspieler. «Ich bin es, der den Stock trägt, nicht der Stock trägt mich!» Das Glaubensvolk raste vor Begeisterung.
Heute sind die Kameras der großen Fernsehgesellschaften unerbittlich auf ihn gerichtet. Glanzlos und müde sind seine Augen geworden; die Kameras filmen, wenn ihm Speichel aus dem Mund läuft. «Das Stück heißt: Der alte Mann und die Krankheit», nannte ein CNN-Journalist kürzlich das Phänomen. Wie lange das Stück noch dauert, weiß niemand. Nur eines ist sicher: Freiwillig aufgeben wird er nicht. Längst ist das Amt zum Kreuz geworden. Aber, sagt er: «Auch Jesus ist nicht vom Kreuz gestiegen.»