Urteil Urteil: Richter begrenzen Telefon-Überwachung
Karlsruhe/MZ. - Geklagt hatte der Oldenburger Richter Robert Suermann. Er fühlte sich durch das neue niedersächsische Gesetz als Privatperson verunsichert, weil es uferlose Möglichkeiten zum Abhören der Bürger eröffne. Konkret gab das Gesetz der Polizei zwei neue Befugnisse. Zum einen darf am Telefon mitgehört werden, um gegenwärtige Gefahren abzuwehren, zum anderen um Straftaten "vorsorglich", also weit im Vorfeld einer kriminellen Handlung, zu bekämpfen. Im Rahmen dieser Telekommunikationsüberwachung (TÜ) darf die Polizei außerdem E-Mails mitlesen, Verbindungsdaten speichern und Handys zur Ortung des Besitzers nutzen.
Früher war die TÜ nur zur Verfolgung von Straftaten, die bereits stattgefunden haben, möglich. Erst im Jahr 2001 kam Thüringen auf die Idee, dass hier eine Schutzlücke bestehen könnte und erlaubte seiner Polizei auch die präventive Telefon-Überwachung. Niedersachsen und Rheinland-Pfalz folgten, Hamburg und Bayern haben Entwürfe in der Schublade. Nun hat das Bundesverfassungsgericht die gesamte niedersächsische Neuregelung für verfassungswidrig erklärt. Innenstaatssekretär Roland Koller zeigte sich überrascht: "Mit Kritik hatten wir gerechnet, aber nicht damit, dass alles aufgehoben wird." Soweit es um die "Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten" geht, seien die Länder gar nicht zuständig, so das Gericht. Hier seien die Abhörregeln in der Strafprozessordnung, einem Bundesgesetz, abschließend.
Eine große Lücke entsteht dadurch nicht. In Niedersachsen ist die umstrittene Vorschrift in eineinhalb Jahren ganze vier Mal angewandt worden. Möglich bleiben Landes-Abhörgesetze zur Abwehr konkreter Gefahren. So kann das Handy etwa zur Ortung vermisster Personen eingesetzt werden oder das Telefon überwacht werden, um einen unmittelbar bevorstehenden Anschlag zu verhindern.
Große Bedeutung wird eine dritte Kritik der Verfassungsrichter haben. Erstmals haben sie festgestellt, dass auch bei der TÜ ein "Kernbereich privater Lebensgestaltung" zu wahren ist. Das heißt: Die Polizei muss grundsätzlich immer dann abschalten, wenn mit nahestehenden Personen über Privates gesprochen wird. Karlsruhe hat damit sein letztjähriges Urteil zum Großen Lauschangriff - das Abhören von Wohnraum mit Mikrofonen - auf die Telefon-Überwachung übertragen. Über Änderungen der Strafprozessordnung muss nun der Bundestag diskutieren.
Aktuelles Aktenzeichen
1 BvR 668 / 04