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Urteil nach 430 Tagen Urteil nach 430 Tagen: Die Akteure im NSU-Prozess - ein Rückblick

Von Harald Biskup 11.07.2018, 06:00
Großes Interesse im Gerichtssaal in München: Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe mit ihren Anwälten Wolfgang Stahl (l.) und Wolfgang Heer.
Großes Interesse im Gerichtssaal in München: Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe mit ihren Anwälten Wolfgang Stahl (l.) und Wolfgang Heer. dpa

Die Hauptangeklagte

Die Bundesanwaltschaft hält es für erwiesen, dass die Hauptangeklagte Beate Zschäpe (43) für sämtliche ihr zur Last gelegten Taten als Mittäterin verantwortlich ist: Für zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge, 15 Raubüberfälle, schwere Brandstiftung und versuchten Mord. Sie fordert eine lebenslange Freiheitsstrafe, die Feststellung einer besonders schweren Schuld sowie Sicherungsverwahrung.

Erst am 248. Prozesstag im Herbst 2015 brach Zschäpe ihr Schweigen. Sie bestritt eine Mitschuld und erklärte, sie habe mit Männern zusammengelebt, „denen ein Menschenleben nichts wert war“. Ihre Anwälte stellten sie als ahnungslos und abhängig von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos dar, die laut Anklage im November 2011 Suizid begingen. Die Bundesanwälte folgten in ihrer Beurteilung Zschäpes dem psychiatrischen Sachverständigen Henning Saß, der die Angeklagte als „selbstbewusst, egozentrisch und manipulativ“ einschätzt. Für Chefankläger Herbert Diemer war sie die „Tarnkappe der Terrorzelle“. Kollegin Anette Greger bezeichnete sie als den „entscheidenden Stabilitätsfaktor“ des NSU. Sie sei in alles eingeweiht gewesen, habe alles mitgeplant und „die beiden Uwes im Griff gehabt“.

Zschäpe hielt bis zuletzt an ihrer Behauptung fest, sie habe, wenn überhaupt, jeweils erst im Nachhinein von den Morden erfahren. Sie bedauere, dass sie sich nicht von den Männern getrennt habe und entschuldige sich „für all das Leid, das ich verursacht habe“. Sie appellierte in ihrem einstudiert wirkenden Schlusswort, sie nicht „stellvertretend für etwas zu verurteilen, was ich weder gewollt noch getan habe. Ich bin ein mitfühlender Mensch und habe den Schmerz der Angehörigen gesehen.“

Die vier Mitangeklagten

Ralf Wohlleben (43) sitzt seit mehr als sechseinhalb Jahren in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft sieht in ihm die „steuernde Zentralfigur“ der Terrorhelfer. Er habe die Pistole beschafft, mit der außer der Polizistin Michèle Kiesewetter alle neun Opfer erschossen wurden. Die Anklage fordert zwölf Jahre Haft wegen Beihilfe zum neunfachen Mord.

Carsten S. (38)  soll dem Trio die Mordwaffe im Auftrag Wohllebens überbracht haben. Auch seinen Tatbeitrag wertet die Bundesanwaltschaft als Beihilfe zum neunfachen Mord. Weil S. aber frühzeitig ein Geständnis abgelegt und „tief empfundene Reue“ gezeigt  habe, kann der zur Tatzeit Minderjährige mit einem milden Urteil rechnen: Gefordert sind drei Jahre Jugendstrafe.

Holger G. (42) mietete im Auftrag des NSU-Trios Wohnmobile an, überließ den Kumpanen Führerschein und Pass. Nach dem Untertauchen der drei bewahrte er in deren Auftrag Geld auf. Geforderte Strafe: fünf Jahre Haft.

André E. (38) ist nach eigener Aussage bis heute bekennender Nationalsozialist. Er habe die Morde, Anschläge und Überfälle durch die Anmietung von Wohnmobilen, das Beschaffen von Bahncards nach Überzeugung der Anklage aktiv  unterstützt. Sie fordert  zwölf Jahre Haft.

Der Richter

Das mehr als fünf Jahre währende Mammut-Verfahren wurde von Manfred Götzl (64) nach Einschätzung vieler Prozessbeobachter souverän geleitet. Gelegentlich schien die Geduld des Vorsitzenden des 6. Strafsenats schier unermesslich, wenn er sich von maulfaulen Zeugen aus der rechten Szene trotz offenkundiger Lügen irgendeine verwertbare Information erhoffte. Fühlte er sich zum Narren gehalten, konnte er schon mal aus der Haut fahren. Doch Götzls gefürchteten cholerischen Ausbrüche blieben die Ausnahme.

Er legte sich mit der Phalanx der 14 Verteidiger genauso an wie mit den 65 Opfer-Anwälten. Der Franke, der den  Ruf eines exzellenten Juristen genießt, setzte alles daran, den Jahrhundertprozess „revisionssicher“ zu Ende zu bringen – auch weil er im kommenden Jahr in Pension geht. Götzl leitete auch den Prozess um den Mord von Rudolph Mooshammer.

Die Verteidiger

Von Beginn des Prozesses an richtete sich das Interesse  auf Zschäpes Pflichtverteidiger. Aus nicht geklärten Gründen überwarf sich die Angeklagte im Sommer 2015 mit Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm. Auf Zschäpes Antrag hin bestellte das Gericht den eher unerfahrenen Mathias Grasel als vierten Pflichtverteidiger, sie selbst engagierte auf eigene Kosten Hermann Borchert als Wahlverteidiger. Fortan würdigte Zschäpe ihre „Alt-Verteidiger“ keines Blickes mehr. Umso bizarrer wirkte das Plädoyer des Kölner Rechtsanwaltes Heer: Er zog alle Register, um im Grunde gegen Zschäpes Willen ein mildes Urteil zu erwirken. Zuvor hatten schon Grasel und Borchert eine Bestrafung von maximal zehn Jahren für angemessen erklärt.

Heer aber ging weiter und forderte Freispruch in fast allen sogenannten Staatsschutz-Delikten: „Beate Zschäpe ist keine Terroristin. Sie ist keine Mörderin und keine Attentäterin.  Frau Zschäpe war nicht einmal in der Nähe auch nur eines Tatortes, und sie hat die Straftaten von Böhnhardt und Mundlos auch nicht vom Küchentisch aus gesteuert.“ Von der monströsen Anklage bleibe nur eine einfache Brandstiftung übrig, das Anzünden des letzten Unterschlupfs in Zwickau.

Außer von der Zschäpe-Verteidigung wurde das Geschehen  über weite Strecken von den Anwälten des Mitangeklagten Ralf Wohlleben beherrscht. In den fünf Jahren gab es kaum eine Phase, in der Olaf Klemke, Nicole Schneiders und Wolfram Nahrath nicht versucht hätten, den Prozess durch immer neue Befangenheitsvorwürfe oder abwegige Beweisanträge zu  blockieren, ja zu sabotieren. So sollte ein Experte für Demografie bestätigen, dass Deutschland als Folge starker Zuwanderung der „Volkstod“ drohe. Alle drei sind dem äußersten rechten Spektrum verbunden.

Die Nebenanklage

Noch in keinem deutschen Prozess haben Nebenkläger eine solche Rolle gespielt wie im NSU-Verfahren. Mehr als 60 Anwälte vertraten etwa 90 Opfer-Angehörige. Die Nebenklage-Vertreter mussten sich immer wieder gegen den Vorwurf der Verteidigung wehren, sie würden Fragen thematisieren, die nicht Gegenstand des Verfahrens seien. Gemeint war der Versuch,  das Umfeld des NSU auszuleuchten, um so die These der Bundesanwaltschaft ad absurdum zu führen, dass allein  die Handvoll Angeklagter für die Mordserie und für die anderen rassistisch motivierten Taten verantwortlich seien.

Zu den Anwälten, die ihre Unzufriedenheit über unzureichende Ermittlungen vehement beklagten, gehört Yavuz Narin. Er vertritt die Familie des am 15. Juni 2005 regelrecht hingerichteten Theodoros Boulgarides. Der griechisch-stämmige Betreiber eines Schlüsseldienstes war das siebte Mordopfer des NSU. Narins beeindruckendes Plädoyer („Ihr Leid ist nicht in Worte zu fassen“) beendete die Serie der Nebenklage-Schlussvorträge.  Auch die Witwe Yvonne Boulgarides rang sich zu einer Erklärung durch: Der Prozess ähnele einem „oberflächlichen Hausputz“. Um der Gründlichkeit Genüge zu tun, hätte man „die Teppiche wegräumen müssen, unter welche bereits so viel gekehrt wurde“.

Der Prozess in Zahlen