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Verbot des "Spirituskreises" Universität Halle: Das Verbot des "Spirituskreises" Doku-Drama zeigt wie die DDR-Staatsmacht die Forscher mundtot machte

Von Walter Zöller 11.11.2018, 11:00
Die Dreharbeiten zu dem Doku-Drama fanden auch im historischen Sessionssaal der Universität Halle statt. 
Die Dreharbeiten zu dem Doku-Drama fanden auch im historischen Sessionssaal der Universität Halle statt.  Uni Halle/Markus Scholz

Halle (Saale) - Anfang März 1958: Der hallesche Universitätsprofessor Erich Hoffmann saß in seinem Arbeitszimmer und schrieb Einladungen. „Kränzchen, 15.3.1958, 18:30 Uhr bei HOFFMANN“ stand darauf zu lesen. Er packte die Karten in elf leere Briefumschläge, versah diese mit Briefmarken, schrieb die Adressen darauf und klebte die Kuverts sorgfältig zu. Sein damals 15-jähriger Sohn Ludwig brachte die Post zum Briefkasten.

Doch die Einladungen erreichten nur auf Umwegen die Adressaten. Sie landeten zunächst bei der Stasi. So erfuhr die Staatsmacht, wer zum Teilnehmerkreis dieses „Kränzchens“ gehörte: Es waren zwölf Mitglieder des „Spirituskreises“. Gegründet 1890 war dieser Zirkel ursprünglich eine Gemeinschaft von geisteswissenschaftlichen Gelehrten der Universität Halle. Die SED-Führung und die Staatssicherheit hatte den Mitgliedern den Stempel „bürgerlich“ aufgedrückt. Auf Geheiß von Walter Ulbricht sollte der „Spirituskreis“ enttarnt und aufgelöst werden. Und dessen Mitglieder sollten entweder auf Linie oder aber mundtot gemacht werden.

Stasi hat „bürgerliche“ Gelehrte der Universität Halle im Visier

Wie SED und Staatssicherheit das Feld für diese Maßnahmen bereiteten, wie sie mit Abhöraktionen und Denunziationen arbeiteten, wie der Senat der Hochschule in einer außerordentlichen Sitzung den Willen der Staatsführung exekutierte - all das ist Gegenstand eines einzigartigen Filmprojekts an der Universität Halle.

Es ist ein Beitrag zur Aufarbeitung der Universitätsgeschichte in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Mit Studenten arbeitet der Medienwissenschaftler Professor Gerhard Lampe seit Monaten an einem Doku-Drama, das am Beispiel des Verbots des „Spirituskreises“ den Stalinismus an der Martin-Luther-Universität in den 1950er Jahren beleuchtet.

Zeitzeugen und Spielszenen: Dialoge beruhen auf historischem Material 

In Interviews mit Zeitzeugen und Experten sowie Spielszenen werden die Geschehnisse von damals minutiös nachgezeichnet und eingeordnet. Erich Hoffmanns Sohn Ludwig berichtet beispielsweise als Zeitzeuge davon, wie die Stasi seinen Vater über Monate offen überwachte. Die Dialoge in den Doku-Szenen beruhen auf historischem Material - wiedergegeben werden Abhörprotokolle der Stasi und das Protokoll der entscheidenden Senatssitzung. Mittlerweile liegen mehrere Stunden exzellentes Filmmaterial vor, das nun zu einem maximal 90-minütigen Doku-Drama zusammengefügt wird.

Einzigartiges Filmprojekt an der Universität Halle

„Die SED wollte die bürgerlichen Professoren aus der Universität rausschmeißen“, beschreibt Lampe die damalige Ausgangslage. Es ging darum, sogenannte „revisionistische Tendenzen“ zu beseitigen und in den Hochschulen ein „sozialistisches Bewusstsein“ durchzusetzen.

Bereits vor Jahren hat das Rektorat eine Kommission zur Aufarbeitung der Universitätsgeschichte in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts gebildet. 2013 wurde in einer Gedenkveranstaltung an die Hochschullehrer erinnert, die von 1933 bis 1945 entlassen wurden - meist weil sie jüdische Vorfahren hatten oder politisch verfolgt wurden.

Die Kommission wird von Friedemann Stengel geleitet. Er hat auch zum „,Spirituskreis“ umfangreich geforscht und sein Material für das Doku-Drama zur Verfügung gestellt.

Im Juli 2018 beschloss der Senat, mit einer Gedenktafel an die Mitglieder der Hochschule zu erinnern, die in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR aus politischen Gründen verfolgt wurden.

Der „Spirituskreis“ musste fast zwangsläufig ins Fadenkreuz der Staatsmacht geraten. „Die Mitglieder verkörperten die politische und geistige Tradition des Bildungsbürgertums in Deutschland“, so Lampe. Dem Zirkel gehörten nur zwölf Mitglieder an, zu den monatlichen Treffen lud jeweils ein anderes ein.

Am 15. März 1958 war der Agrarwissenschaftler Erich Hoffmann der Gastgeber. In dem Doku-Drama wird die Szene nachgespielt. Die Einrichtung in Hoffmanns Wohnzimmer im Stadtteil Kröllwitz und die Kleidung, die die Wissenschaftler damals trugen, stammen aus dem Theaterfundus; Studenten der Sprechwissenschaften schlüpften in die Rollen der damaligen Akteure.

Dazu zählten führende Köpfe der Universität, wie der Geologe Hans Gallwitz, der Kirchenhistoriker Kurt Aland und der Pädagoge Hans Ahrbeck. Sie hörten während des Treffens erst einen wohl auch für die Ohren eines Stasi-Mitarbeiters unverfänglichen Vortrag über die „Landwirtschaft in der Sowjetunion“, um dann engagiert über die Entwicklung in der Universität zu diskutieren.

Stasi hält Aland für „Gegner unserer Republik“

Und die Stasi hörte fleißig mit, wie eine weitere Szene des Doku-Dramas zeigt. Wobei sich ein Stasi-Leutnant namens Trautsch Verstärkung geholt hatte. Ihm zur Seite interpretierte der Prorektor der Uni Jahn das, was auf den Abhörbändern zu hören war. Wenn Kirchenhistoriker Aland im „Spirituskreis“ feststellte, dass man bei der Rektorenwahl „an unserer Fakultät weder einen Parteisekretär noch einen FDJ-Sekretär“ haben wolle, dann sagte Jahn dem Stasi-Mann, was der davon zu halten hatte: Aland sei einer „der hartnäckigsten Gegner unserer Republik“, dessen Einstellung zum sozialistischen Staat sei „auffallend westlich“.

In einer weiteren Szene geht Heinrich Dilly, Professor für Kunstgeschichte, auch auf eine Reiseschreibmaschine vom Typ Erika ein. Diese benutzte die spätere Professorin für Kunstgeschichte Ingrid Schulze, um ihre konspirativen Berichte als Inoffizielle Mitarbeiterin der Stasi zu Papier zu bringen - über 30 Jahre lang. Als Assistentin am Institut für Kunstgeschichte war sie es, die am 21. April 1958 in einer Versammlung von 800 Universitätsangehörigen und unter den Augen von Walter Ulbricht ihren Dienstherren Professor Aland als „reaktionär“ und „antisozialisitisch“ an den Pranger stellte.

„Schauprozess“: Mitglieder des „Spirituskreises“ regelrecht angeklagt

Ihr Auftritt war von der Stasi vorbereitet worden - wie auch die Senatssitzung einen Tag später, bei der die Mitglieder des „Spirituskreises“ regelrecht angeklagt wurden. Warum Medienwissenschaftler Lampe von einer „Art Schauprozess“ spricht, wird deutlich, wenn man in dem Doku-Drama dank der historischen Wortlautprotokolle hört, wie Uni-Rektor und SED-Mitglied Stern mit dem „Spirituskreis“ abrechneten. In der Sprache bürokratisch und in der Sache eiskalt. Das Verbot des „Spirituskreises“ stand längst fest, als sich die Mitglieder des Senats trafen.

Die Angehörigen des „Spirituskreises“ versuchten auf unterschiedliche Art, den extremen Druck und die starke Bedrohung von Seiten des Staates zu bewältigen. Einige passten sich an, andere setzten sich in die Bundesrepublik ab und widmeten sich dort ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Es sei eigentlich Wahnsinn gewesen, dass die DDR-Staatsführung hervorragende Forscher mundtot gemacht habe, so Lampe. „Die Wissenschaft in der DDR erlitt dadurch einen großen Verlust.“

Doku-Drama soll auch in hallesche Kinos kommen

Einen schweren Verlust erlitt auch die Familie des Geologen Hans Gallwitz. „Er ist offenbar auch aus Gram über die Ereignisse wenige Wochen nach seinem Rauswurf aus der Universität während einer Zugfahrt an Kreislaufversagen gestorben“, berichtet Lampe. Mit Gallwitz Sohn, dem Kunsthistoriker Klaus Gallwitz, haben die Doku-Filmer auf dem Friedhof gesprochen, auf dem sich die Grabstätte des Vaters befindet.

Das Doku-Drama wird im Sommer kommenden Jahres fertig, es soll auch in einem halleschen Kino gezeigt werden. Die Studenten der Medienwissenschaft, die bislang daran mitwirkten, haben nach Angaben von Lampe viel gelernt. Anfangs vor allem handwerkliche Dinge - wie man recherchiert, wie Interviews geführt werden, wie die Kameraarbeit funktioniert und was man beim Schnitt der Sequenzen beachten muss. Aber sie seien am Beispiel der Auflösung des „Spirituskreises“ auch dafür sensibilisiert worden, wie Diktaturen funktionieren und wie wichtig es sei, die Demokratie zu schützen. (mz)

Bei dem Medienwissenschaftler Gerhard Lampe laufen die Fäden für das Filmprojekt zusammen.
Bei dem Medienwissenschaftler Gerhard Lampe laufen die Fäden für das Filmprojekt zusammen.
Andreas Stedtler