Ungarn Ungarn: Schnellster DDR-Flüchtling fuhr mit West-Auto allen davon
Passau/dpa. - In einemjapanischen Sportwagen erreichte Meyer mit seiner Familie als Ersterden Grenzübergang Suben nahe Passau. Erst um Mitternacht waren inUngarn die Schlagbäume nach oben gegangen, und bereits um 3.05 Uhrwar Gerhard Meyer mit Frau und zwei Kindern in Niederbayern.
Der damals 39 Jahre alte Ostberliner gab in dieser Nacht Vollgas.Auf der Fahrt nach Passau näherte sich die Tachonadel nicht nureinmal der 200er Marke. Die etwa 400 Kilometer lange Strecke vomPlattensee legte er in gerade einmal zweieinhalb Stunden zurück. SeinAuto hatte Meyer in der DDR unter der Hand gekauft. Auf demSchwarzmarkt habe man auch im Sozialismus alles bekommen können,erinnert er sich heute.
Der Familienvater war zusammen mit seiner Ehefrau Nicole (damals32) und den 11 und 12 Jahre alten Töchter Myrjam und Denise RichtungWesten unterwegs. An der ungarisch-österreichischen Grenze hattenalle DDR-Flüchtlinge mit den druckfrischen West-Reisepässen nochetwas Geld für Benzin und Wegzehrung bekommen. Ein Wettrennen mit denanderen Ostdeutschen wollten sich die Meyers da noch nicht liefern.
«Wir sind in einem Konvoi von 10, 20 Autos losgefahren», erzähltMeyer. Doch schon bald konnten die Trabbis mit Meyers flottem Flitzernicht mehr mithalten. Bei dem einen sei etwas kaputtgegangen, anderehätten gebremst, berichtet der heute 59-Jährige. «Dann hatte sich dasmehr oder weniger aufgelöst.» Irgendwann auf der Fahrt in Österreichhabe eine seiner Töchter gesagt: «Papa, wenn du weiter so schnellfährst, dann sind wir noch die Ersten.» Von diesem Moment an warGerhard Meyer nicht mehr aufzuhalten.
Die Tochter sollte recht behalten. Familie Meyer überraschte injener Nacht auch die am Autobahnübergang Suben wartenden Zöllner undJournalisten. So früh hatte an dem Grenzposten niemand mit derAnkunft der DDR-Flüchtlinge gerechnet. Meyer erinnert sich, wie er andas Zollhäuschen ging und drantrommelte: «28 Jahre waren wireingesperrt, und nun schlafen alle.»
Ähnlich erging es der Familie etwa eine Stunde später an derPassauer Nibelungenhalle. Die Halle war in Erwartung der DDR-Flüchtlinge in ein riesiges Feldlager verwandelt worden. Als dieMeyers ankamen, war außer einem einsamen Hausmeister allerdingsniemand dort. Die Familie fuhr weiter in eine andere Notunterkunft.
In den zwei Jahrzehnten seit dem Mauerfall kam Rekordfahrer Meyerviel herum, zog mehrfach um. Der Gastronom, der schon zu DDR-Zeitenselbstständig war, blieb bei seinem Gewerbe. «Zeitweise hatte ichfünf Restaurants in Berlin», erzählt er. 2003 ging er nachÖsterreich, wo er auch familiäre Wurzeln hat. Zunächst pachtete Meyereine Skihütte, inzwischen betreibt die einst schnellsteFlüchtlingsfamilie ein historisches Tiroler Posthotel in Steinach amBrenner.