Umgang mit Stasi-Akten Umgang mit Stasi-Akten: Bewährungsprobe für die Gauck-Behörde
Berlin/MZ. - Selten hat ein erstinstanzliches Verfahrenvor einem Verwaltungsgericht für so heftigenWirbel gesorgt. Denn diesmal ist die Sachebesonders heikel: Die Gauck-Behörde stehtvor ihrer größten Bewährungsprobe. "Wir habenstarke Argumente auf unserer Seite. Aber würdedas Gericht überraschend gegen uns entscheiden",macht Behörden-Chefin Marianne Birthler dieTragweite deutlich, "wäre das ein großer Rückschlagfür die Aufarbeitung der SED-Diktatur."Zum Konflikt mit dem Altkanzler war esEnde vergangenen Jahres gekommen, als dieBehörde Unterlagen über Helmut Kohl an Journalistenherausgeben wollte. Vor allem die Fragen,inwieweit die DDR-Staatssicherheit den einstigenBundeskanzler im Visier hatte, wie sie Einflussnahm auf den Westen der Republik, und wassie über die dubiose Spendenpraxis der Unionwusste, bewegten und bewegen die Öffentlichkeit.
Der Vorgang der Aktenherausgabe schien zunächstganz normal zu sein. Kohl war immerhin Amtsträgerund ist Person der Zeitgeschichte; damit ister anders zu bewerten als beispielsweise völligunbekannte Bürger. Zudem waren Unterlagenüber ihn längst für Journalisten und Wissenschaftlerzur Verfügung gestellt worden. "Selbstverständlichwollten wir die jetzt strittigen Akten nichteins zu eins herausgeben, sondern wir werdendie Passagen, die die PersönlichkeitsrechteKohls tangieren, entsprechend schwärzen",erläutert Birthler.
Doch was bei Bundesaußenminister Joschka Fischer(Grüne), den Sozialdemokraten Helmut Schmidtund Hans Eichel als früherem Oberbürgermeistervon Kassel durchaus Routine war, sollte nunplötzlich nicht mehr gelten. Der 71-jährigeKohl, publizistisch massiv flankiert von BundesinnenministerOtto Schily (SPD), beantragte erst einmalAkteneinsicht, die er über die Maßen hinauszögerte."Auch auf unser Angebot, die betreffendenAkten vor der Herausgabe noch einmal zu sichtenund dann eine Stellungnahme abzugeben, hatKohl nicht reagiert", sagt Marianne Birthler.Kohl zog lieber vor Gericht und beantragteden Erlass einer Einstweiligen Anordnung.Marianne Birthler, als Nachfolgerin JoachimGaucks im Oktober gerade ins Amt gekommen,handelte schnell. Um eine solche Eilentscheidungzu verhindern, sagte die Behörde zu, vorerstbis zu einer Verhandlung in der Hauptsachekeine Unterlagen herauszugeben.
Tatsächlich fordert Kohl noch viel mehr. Ausseinem Antrag vor Gericht geht hervor, dasser alle Unterlagen, die möglicherweise nichtauf rechtsstaatlichem Wege entstanden sind,unter Verschluss halten will. Lediglich diePresseartikel will er freigeben - dann, sagenKritiker, verkäme die Gauck-Behörde zum Zeitungsarchiv.Auch Marianne Birthler fordert: "Es dürfennicht zehn Jahre erfolgreiche Praxis unsererBehörde ad absurdum geführt werden." Das VorgehenKohls ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert.Immerhin war er es, der das Stasi-Unterlagen-Gesetz1991 ganz maßgeblich mitinitiiert hat. AlsKabinettschef führte er dann acht Jahre langdie Rechtsaufsicht.
Vor allem in Ostdeutschland hat die "Lex Kohl",von der plötzlich die Rede war, für Unverständnisgesorgt - bis in die Reihen der CDU. So forderteThüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel,dass "das Gesetz für alle gilt" - auch fürseinen Parteifreund Kohl. Und Sachsen-AnhaltsRegierungschef Reinhard Höppner (SPD) machte"ein fatales Gefühl" aus. Weil er fürchtete,"dass die Aufarbeitung jetzt nach der Postleitzahlverläuft".So schaut Deutschland am Mittwoch gespannt zumBerliner Verwaltungsgericht. Dass eine Entscheidung,bei der eine mögliche Berufung nicht automatischmöglich ist, sondern zugelassen werden muss,schon an diesem Tage ergeht, scheint nichtausgeschlossen. Dies ist auch vom Gerichtso gewollt. Schon deshalb, weil sich die Kammerwegen der Umsetzung eines neuen Geschäftsverteilungsplaneszur Sommerpause auflöst.