Umfrage «Perspektive Deutschland» Umfrage «Perspektive Deutschland»: Wunsch nach weniger Staat

Berlin/dpa. - Die Mehrheit der Deutschen fordert eine energische Modernisierung ihres Landes. Drei Viertel der Bundesbürger sind der Meinung, dass die Reformen der vergangenen Jahre nicht ausreichen, ergab die McKinsey-Umfrage "Perspektive Deutschland". Dabei sprechen sich 83 Prozent für eine bessere Belohnung von Leistung aus, 54 Prozent plädieren für weniger Staat mit einer stärkeren privaten Risikoabsicherung. An der fünften Auflage der Umfrage, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, beteiligten sich von Oktober 2005 bis Januar 2006 mehr als 620.000 Menschen in Deutschland.
Ein Großteil der Befragten wünscht sich mehr sozialen Ausgleich und nimmt den Staat in den Bereichen Gesundheit, Rente und Bildung in die Pflicht. Insgesamt fühlen sich die Deutschenwohl in ihrem Land (61 Prozent) - am meisten im Süden. Nur 7 Prozent sind unzufrieden. Doch für die Zukunft sieht die Mehrheit schwarz: Zwei von drei glauben, dass sich ihre finanzielle Situation verschlechtert. Die Hälfte der Beschäftigten fürchtet um den Arbeitsplatz.
"Die Ergebnisse von Perspektive-Deutschland sind eineanspruchsvolle Mischung scheinbar widersprüchlicher Elemente. Diese Kombination von links und rechts, dieses Sowohl-als-auch statt des polarisierenden Entweder-oder kennzeichnet eine neue Entwicklung - die soziale Leistungsgesellschaft", sagte Bundespräsident a.D. Richard von Weizsäcker, Schirmherr von Perspektive-Deutschland, bei der Präsentation der Ergebnisse. Es gelte nun, den begonnenen Reformkurs mutig fortzuführen, dabei aber das Ziel des sozialen Ausgleichs nicht aus den Augen zu verlieren. "Der deutliche Auftrag an die Politik lautet, die sozialen Ziele nicht aufzugeben, aber Anreize zu schaffen, die das private Angebot zur Leistung fördern",so von Weizsäcker.
Knapp zwei Drittel (62 Prozent) der Befragten geben an, diedeutsche Gesellschaft solle sich in Zukunft schneller als heuteverändern. Zugleich entwickeln die Bundesbürger ein ausgesprochenesGespür für sozialen Ausgleich. Einen Staat, in dem der Einzelne "vielmehr" Lebensrisiken als heute trägt und wo die sozialen Unterschiede"viel größer" sind, befürwortet uneingeschränkt lediglich eineMinderheit von 10 Prozent. Das andere Extrem, den Versorgungsstaat,der alle Risiken trägt und wo Steuern und Abgaben "viel höher" sindals heute, will allerdings auch so gut wie niemand: nur 2 Prozent.
Geprägt ist das derzeitige Stimmungsbild von einer stärkerenLeistungsorientierung. Fleiß und Ehrgeiz sind die wichtigsten Werteder Deutschen (72 Prozent). Die überwältigende Mehrheit bekennt sichzu lebenslangem Lernen, 29 Prozent können "sich auf jeden Fall", 50Prozent "unter Umständen" vorstellen, in einem anderen Beruf zuarbeiten. Vorausgegangene Umfragen von Perspektive-Deutschlandzeigten, dass 79 Prozent der erwerbstätigen Teilnehmer mehr arbeitenwollen, 80 Prozent einen anspruchsvollen Arbeitsplatz bevorzugen, 64Prozent auch dann noch arbeiten möchten, wenn sie finanziellunabhängig sind.
Andererseits ist der Wunsch nach sozialer Ausgewogenheitdringender als früher. 76 statt 56 Prozent im Vorjahr wünschen sichgeringere soziale Unterschiede. 38 Prozent wollen wieder mehrstaatliche Verantwortung bei der sozialen Sicherung (Vorjahr 32Prozent). 64 Prozent fordern eine bessere finanzielle Unterstützungder Familien durch den Staat.
Unverändert plagen die Deutschen große Ängste: Knapp 60 Prozentder Befragten erwarten eine Verschlechterung ihrer finanziellenSituation. Fast genauso viele (58 Prozent) befürchten, dass sie imAlter nicht mehr für Lebensunterhalt und Gesundheitskosten aufkommenkönnen. Angst um den Job hat jeder Zweite.
Zwar leidet Deutschland immer noch unter dem Ost-West-Gefälle.Doch gewinnen mehr ostdeutsche Regionen an Attraktivität. So belegendie Wirtschaftszentren Dresden und Leipzig in der Rangliste derbeliebtesten 15 Großstädte die Plätze neun und zwölf. Mit 70 und 65Prozent Zufriedenheit liegen sie damit vor Dortmund (64 Prozent) undDuisburg (55 Prozent). Selbst die ostdeutschen Regionen mit dergeringsten Zufriedenheit gewinnen an Boden. So verbesserte sich dieRegion Dessau, die regelmäßig auf den untersten Rängen derZufriedenheitsskala rangiert, von 27 Prozent im Jahr 2003 um 11Prozentpunkte auf 38 Prozent.
Der Arbeitsmarkt ist mit Abstand das wichtigste Reformthema. 75Prozent der Befragten sehen "besonders hohen Handlungsbedarf". Umihren Arbeitsplatz zu sichern, würde jedoch nur etwa ein Drittel derBerufstätigen unbezahlt mehr arbeiten oder Urlaubstage opfern. Geradeeinmal ein Viertel würde mehr als 100 Kilometer dafür umziehen.Lediglich 23 Prozent würden auf 10 Prozent des Gehalts verzichten.Arbeitslose sind, wie die Befragung ergab, noch weniger flexibel.
An der Krise der staatlichen Sicherungssysteme besteht für dieDeutschen kein Zweifel. 60 Prozent erwarten eine Verschlechterung.Bei der Rente hat die Mehrheit der Bürger die Notwendigkeit zurprivaten Altersvorsorge erkannt. Weniger als 14 Prozent glauben aneine ausreichende staatliche Absicherung. Fast die Hälfte derBefragten (47 Prozent) hat sich bereits mit dem Thema ausführlichauseinandergesetzt und sich um die eigene Altersvorsorge gekümmert.Allerdings bleibt nach eigenen Angaben 51 Prozent der Deutschen kaumetwas von ihrem Geld übrig, um zusätzlich privat vorzusorgen. Für dieSicherung der gesetzlichen Altersvorsorge favorisieren 39 Prozenteine niedrigere Rente mit verpflichtender Zusatzversicherung. 29Prozent hingegen plädieren für eine Erhöhung des Zuschusses ausSteuermitteln.