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Künftiger Dessauer UBA-Chef UBA-Chef Dirk Messner: Interview vor Wechsel nach Dessau

Von Peter Neumann 21.09.2019, 13:22
Ab 2020 wird Dirk Messner der neue Präsident des Umweltbundesamtes.
Ab 2020 wird Dirk Messner der neue Präsident des Umweltbundesamtes. imago stock&people

Von seinem Büro im 28. Stock des „Langen Eugens“ in Bonn hat Dirk Messner einen prachtvollen Blick auf den Rhein und das Siebengebirge. Anfang 2020 wird Messner nach Dessau wechseln, um seinen neuen Posten als Präsident des Umweltbundesamtes anzutreten.

Zu seinen Arbeitsthemen gehören globale Umweltveränderungen – und wie die Politik darauf reagieren sollte. Wer mit ihm spricht, muss sich auf unangenehme Wahrheiten einstellen.

Herr Professor Messner, mit welchem Verkehrsmittel sind Sie heute zur Arbeit gekommen?

Mit dem Auto.

Essen Sie Fleisch?

Ich esse Fleisch, versuche aber, den Fleischkonsum zu reduzieren.

Fliegen Sie in den Urlaub?

Wenig.

Aber Sie müssen dienstlich fliegen?

Ich muss dienstlich fliegen. Leider geht nicht alles über Videokonferenzen.

Finden Sie solche Fragen nervig?

Ich finde sie sehr angemessen. Wenn nicht alle mitmachen, werden wir das Klimaproblem nur langsam oder gar nicht lösen können. Jeder Bürger kann einen Beitrag leisten, keiner von uns ist hilflos. Erstens: Unser Ernährungsstil, vor allem der Fleischkonsum, ist von enormer Bedeutung. Unsere Gewohnheiten in diesem Bereich sind ein großer Hebel, den wir in der Hand haben. Ein Beispiel: Wenn in Deutschland nicht mehr 40 Prozent der gekauften Lebensmittel auf den Müll kämen, würde das die Treibhausgase verringern. Der zweite Hebel ist die Mobilität: Wir können einen SUV fahren oder ein kleines Elektroauto oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Auch hier hat jeder von uns einen großen Handlungsspielraum. Das dritte Thema lautet: Fernreisen – ja oder nein? Für viele Dinge sind wir verantwortlich. Kein Unternehmen, keine Regierung nimmt uns das ab.

Bleibt die Frage, warum Sie persönlich nicht den Schluss ziehen, mit Bus und Bahn zur Arbeit zu fahren.

Weil ich dann pro Weg anderthalb Stunden brauchen würde. Wollen wir Individualverkehr reduzieren, brauchen wir Durchbrüche im öffentlichen Verkehr.

Ich spreche das an, weil ich oft höre: Ich würde mich gern anders verhalten, aber es geht leider nicht. Und: Der Beitrag, den Deutschland zur Erderwärmung leistet, ist klitzeklein.

In der Tat stammen nur rund drei Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen aus Deutschland, aber wir gehören zur Gruppe der zehn größten Treibhausgas-Emittenten und unsere Pro-Kopf-Emissionen sind um ein Vielfaches höher als zum Beispiel in Indien oder in afrikanischen Ländern. Dennoch können wir das Weltklima nicht alleine retten, das stimmt. Doch unser Land ist ein wichtiger politscher Akteur mit großer Ausstrahlungskraft. Was wir tun, ist für den Welthandel und für die weltweiten Standards von größter Bedeutung. Wenn China, die USA, Frankreich, Japan und wir uns nicht in Richtung Nachhaltigkeit bewegen, gibt es keine Chancen, dass die anderen knapp 200 Länder folgen. Deutschland muss Pionier sein und globale Maßstäbe setzen. Das stärkt auch die Wettbewerbsfähigkeit, denn alle Länder suchen nach Lösungen zur Dekarbonisierung der Wirtschaft. Bei der Etablierung der erneuerbaren Energie ist uns das gut gelungen. Dieser Teil der Energiewende ist wahrscheinlich das wichtigste öffentliche globale Gut, das dieses Land nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen hat. Deutschland hat demonstriert, dass Wohlstand und erneuerbare Energiesysteme verbunden werden können. Seit einem Jahrzehnt wird rund um den Erdball in erneuerbare Energien investiert, befasst sich die Politik damit.

Das zeigt aber auch, dass auch Politik und Wirtschaft gefragt sind.

In der Tat. Bürger können die Klimakrise nicht im Alleingang lösen. Wir brauchen Systemveränderungen: neue Mobilitäts- und Energiesysteme, wir müssen die Städte neu organisieren, Landnutzung neu ausrichten, umfassende Kreislaufwirtschaft etablieren. Dazu können Bürger an der Wahlurne und durch zivilgesellschaftliches Engagement beitragen, aber Politik und Wirtschaft müssen liefern. Beim Klimaschutz geht es eben auch um Technik, um Ökonomie, um Geschäftsmodelle. Doch der Umbau zur Nachhaltigkeit ist umfassend. Am Ende geht es um eine kulturell-zivilisatorische Herausforderung. Statt uns die Erde untertan zu machen, müssen wir akzeptieren, dass die globale Gemeinschaft lernen muss, für Erdsystemstabilität zu sorgen, um die Lebensgrundlagen aller folgenden Generationen nicht zu ruinieren.

Ich bezweifele, dass sich dieses Weltbild schon durchgesetzt hat. US-Präsident Donald Trump leugnet den Klimawandel, der brasilianische Regierungschef Jair Bolsonaro kanzelt Kritiker ab, die es furchterregend finden, dass am Amazonas Wald brennt. Stimmt Sie das nicht pessimistisch?

Es gibt negative Trends – repräsentiert von Trump, Bolsonaro, Putin. Doch wir stellen auch positive Veränderungen fest. So ist in China das Bewusstsein, dass der Klimawandel verheerende Auswirkungen hat, weit verbreitet. Mittlerweile wird dort viel mehr als bei uns in erneuerbare Energien investiert und die Mobilität elektrifiziert. Der Druck auf unsere Autohersteller kommt aus China. Auch Indien und Afrika setzen sich nun für Klimaschutz ein. In großen Teilen der Wirtschaft geht es ebenfalls nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie beim Klimaschutz. Große US-Unternehmen warnen, dass Trumps „Klimapolitik“ die Modernisierung der US-Wirtschaft erschwert.

Sie haben vorhin von der Energiewende gesprochen, die ein Erfolg sei. Doch wo bleibt die Verkehrswende?

Vor 15 Jahren sagte mein Kollege Jürgen Schmid, damals Direktor eines Fraunhofer-Instituts, dass sich Deutschland zu 100 Prozent mit Wind-, Sonnen- und anderer erneuerbarer Energie versorgen kann. Er stand ziemlich allein da. Das sei unmöglich, es würde uns ruinieren, hieß es. Doch dank der Vordenker der Energiewende entstanden vor unseren Augen neue Lösungen. An diesem Punkt stehen wir heute beim Thema Mobilität. Elektromobilität, Digitalisierung und autonome Fahrzeuge, Verzicht auf privaten Autobesitz, mehr Fahrrad- und Schienenverkehr, Städte autofrei denken: Vieles mutet heute noch visionär an.

Heißt das, dass wir uns mit solchen Utopien nicht zu befassen brauchen?

Nein, auf keinen Fall! Anders als bei der Energie haben wir in den vergangenen 15 Jahren bei der Mobilität keine Erfolge erzielt. Im Gegenteil: Die Autos sind größer geworden, der Spritverbrauch steigt, Verkehr nimmt zu, Straßen und Flughäfen sind voll. Doch viele Menschen und Unternehmen spüren, dass sich etwas ändern muss. Dass inzwischen ernsthaft über die Zukunft der Mobilität diskutiert wird, hat auch mit anderen Faktoren zu tun. China will den Ausstieg aus der fossil betriebenen Mobilität, es stellt unser Geschäftsmodell in Frage – mit allen Arbeitsplätzen, die daran hängen. Klar ist auch: Deutschland wird die Klimaziele nicht erreichen können, wenn wir nicht auch die Mobilität Richtung null Emissionen umstellen. Das ist die Situation, und inzwischen liegen viele Konzepte auf dem Tisch.

Ist es richtig, wenn die Berliner Grünen sagen: Wir wollen, dass 2030 in der Berliner Innenstadt keine Benziner und Diesel mehr fahren dürfen?

Die Richtung stimmt! Wenn wir das Problem der Erderwärmung ernst nehmen, müssen fossile Emissionen bis 2050 auf Null sinken. Derzeit stammen rund 25 Prozent aus dem Verkehr. Darum müssen wir nun an die Mobilität heran, nachdem wir im Energiebereich Fortschritte haben. Umfassende Veränderungen sind zu organisieren. So brauchen wir eine komplette Elektrifizierung der Mobilitätssektors, die bisherigen Antriebe müssen ersetzt werden. Um 2050 bei null Emissionen zu landen, sollten etwa ab 2030 keine fossilen Antriebssysteme mehr auf den Markt kommen. Klare Signale an die Wirtschaft sind wichtig, so dass diese nicht weiter in alte Strukturen investieren müssen.

Was sollte eine Stadt wie Berlin unternehmen?

Der Schienenverkehr muss weiter ausgebaut werden, die einzelnen Systeme müssen besser miteinander verzahnt werden. Wenn wir mit anderen Verkehrsmitteln als dem Auto überall gut hinkommen, wird Platz frei – für breitere Geh- und Radwege, für Grünanlagen, für Stadträume, die Menschen zur Verfügung stehen. Autos stehen im Schnitt 95 Prozent der Zeit ungenutzt herum, sie sind totes Kapital. Wenn wir den Platz, den sie belegen, zurückgewinnen, würde die Lebensqualität enorm steigen. Kürzlich war ich in der niederländischen Stadt Utrecht. Dort steht das größte Fahrradparkhaus Europas, und Fahrstreifen für Radfahrer sind oft breiter als die für Autos. Ich habe da keinen Bürgeraufstand wahrgenommen.

In Berlin wird anders diskutiert. Viele Bürger empfinden Argumentationen wie Ihre als Angriff auf ihr Lebensmodell. Fürchten Sie nicht, dass Nachhaltigkeitspolitiker abgewählt werden?

Wichtig ist, dass Politiker sagen, was sie wollen und was sie vorhaben. Und dass sie die Bürger einbeziehen. Wichtig ist aber auch, das heutige Schwarze-Peter-Spiel aufzubrechen. Politiker machen nichts, weil sie die Abwahl befürchten – Bürger kritisieren, dass die Politik untätig bleibt, bleiben aber selbst auch untätig. So kommen wir nicht weiter! Nicht nur Politiker, auch Bürger tragen Verantwortung, die Probleme anzugehen. Ein neuer Gesellschaftsvertrag muss entstehen.

Das klingt so, als stünden Einschnitte in den persönlichen Lebensstil bevor. Wenn man das alles zu Ende denkt, werden auch Inlandsflüge irgendwann nicht mehr stattfinden dürfen.

Ja! Inlandsflüge muss es künftig kaum mehr geben. Wir sind ein relativ kleines Land. Hätten wir ein ordentliches Bahnsystem und an den Bahnhöfen gute Systeme für die Weiterbeförderung, könnten wir die meisten Ziele innerhalb von drei, vier Stunden erreichen. Dann ließe sich der innerdeutsche Flugverkehr um mehr als 80 Prozent verringern. Dafür bräuchten wir einen Ausbauplan für den Bahnverkehr für die nächsten zwei Jahrzehnte. Das wäre auch für Europa insgesamt sinnvoll.

Häufig wird gefragt: Warum sollen sich Menschen mit wenig Geld künftig keine Flugreisen mehr leisten?

Ich höre auch oft: Wird der Konsum entdemokratisiert? Deshalb müssen die Kosten des Klimaschutzes fair verteilt werden. Klimaschutz ist Verteilungspolitik. Doch Wohlstand hat nicht nur mit Geld zu tun, und wir dürfen Klimaschutz nicht nur technisch sehen. Niemand verliebt sich in den Preis für Kohlendioxid. Schöne Städte, die wir bauen, oder andere Mobilität, die wieder zu lebenswerten Städten führt, sprechen dagegen die Menschen an. Wir müssen die Debatte über Technik, Verzicht, Bepreisung von Emissionen und Verlust in eine Debatte über neue Formen der Lebensqualität überführen – vor allem zur Lebensqualität in den Städten. Klimaschutz ist eine Chance, unseren Wohlstand neu zu erfinden und die Wirtschaft zukunftsfähig aufzustellen.

Sollte der Bund eine Steuer auf den Ausstoß von Kohlendioxid erheben?

In der Marktwirtschaft sind Preissignale sehr wichtig, weil sie vor Augen führen, dass ein Gut knapp ist. Der Raum in der Atmosphäre, in dem wir weitere Treibhausgase deponieren können, wird immer knapper, und die Auswirkungen werden immer klarer: Die Wasservorräte gehen zurück, der Meeresspiegel steigt, Gletscher schmelzen. Die jetzigen Preissignale passen dazu nicht. Der Internationale Währungsfonds hat errechnet, dass der Ausstoß an Kohlendioxid weltweit jährlich mit rund 500 Milliarden Dollar subventioniert wird, weil Staaten die Lebenshaltungskosten senken wollen. Damit nicht genug: Die Auswirkungen und Schäden des Treibhausgas-Ausstoßes summieren sich jährlich auf 5,3 Billionen Dollar. 5,3 Billionen – das sind 6,5 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts! Wenn wir fossile Brennstoffe verteuern, fördert das den Klimaschutz und reduziert Schäden. Das muss aber mit einem sozialen Ausgleich verbunden werden, der als gerecht empfunden wird. Sonst gibt es soziale Konflikte.

Apropos Konflikte und Aufstand: Bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen hat eine Partei, in der viele den Klimawandel leugnen, Stimmen gewonnen. Wächst da eine Kraft heran, die Klimaschutz rückgängig macht?

Ja, das befürchte ich. Historisch gesehen gibt es in Umbruchsituationen immer auch Gegenkräfte. Wenn etwas verändert wird, erzeugt das Unsicherheit, neue Verteilungsfragen, Kontrollverluste. Die Phase, in der wir uns jetzt befinden, ist mit 1890 bis 1910 in Europa vergleichbar. Damit will ich nicht sagen, dass wir wieder in einen Weltkrieg steuern. Doch wie damals erleben Deutschland und Europa eine Phase beschleunigter Modernisierung, die Menschen verunsichert.

Mit welchen Erwartungen wechseln Sie auf Ihren neuen Posten als Präsident des Umweltbundesamts?

In Deutschland und Europa wissen wir, welche Veränderungen anstehen – im Energiesektor, in der Mobilität, in der Landwirtschaft, in den Städten, in der Industrie, beim Schutz der Ökosysteme. Auch die Veränderung des Lebensstils, über die wir vorhin gesprochen haben, ist absehbar. Die Diagnose ist klar, viele Werkzeuge liegen auf dem Tisch. Jetzt geht es darum, wie man die Veränderungsprozesse organisiert und Wissen schafft, um möglichst gut durch diesen Wandel zu navigieren. Die Institution, zu der ich wechsele, kann einen signifikanten Beitrag dazu leisten.

Sind Sie ein Optimist?

Meine Grundstimmung ist optimistisch, das stimmt. Ein Faktor ist, dass mit meine Eltern viel Grundvertrauen entgegengebracht habe. Der andere ist, dass ich seit vielen Jahren mit vielen optimistischen Kolleginnen und Kollegen an Lösungsmöglichkeiten arbeite.

Wird es die Menschheit also schaffen, das Klimaproblem zu lösen?

Menschen sind erfindungsreich und kooperationsfähig, sie haben komplexe soziale Systeme geschaffen. Doch das Klimaproblem muss in drei Jahrzehnten gelöst sein. Meine größte Sorge ist, dass uns die Zeit davon läuft.