Tunesien Tunesien: Land kämpft mit einem Kopftuchproblem

Tunis/dpa. - Kopftücher und Schleier tauchen selbst in der mondänen Hauptstadt Tunis immer öfter auf. In Tunesiens Provinzfallen Frauen mittlerweile eher auf, wenn sie ohne den «Hidschab» - ein Kopftuch, das die Haare bedeckt - das Haus verlassen. Und geradeStudentinnen des nordafrikanischen Landes gehen mit der Kopftuchmode,die vor ein, zwei Jahren aufkam und noch um sich greift. Sie setzendabei raffinierte Stoffe und Farben ein.
Der Staat sieht diesen Trend zurück zur Tradition mit erheblichemMisstrauen. Präsident Zine el-Abidine Ben Ali geißelte unlängst den«Hang zu einem von außen importierten Sektierertum». Denn Tunesienist zwar ein muslimisches Land und Staatschef kann nur ein Muslimwerden. Doch das Touristenparadies versteht sich bereits seit einemhalben Jahrhundert als modern und weltoffen, als «Land der Öffnung».
«Wir können Kopftuch und Schleier nicht zulassen, das wäre einregelrechter Rückschritt», warnte der Parteichef der allmächtigenRegierungsformation RCD (Rassemblement Constitutionnel Démocratique),Hédi M'henni: «Morgen werden wir dann gezwungen sein, das Recht derFrau auf Arbeit, auf Ausbildung und ihr Wahlrecht abzubauen und sieauf das Gebären zu beschränken.» Die politische Führung des Landesist deshalb entschlossen, einem Dekret des «obersten Kämpfers» undStaatsbegründers Habib Bourguiba Respekt zu verschaffen: Der «Erlass108» von 1981 untersagt den Schleier nicht nur in Verwaltung, Schuleund Universität, sondern allgemein «in allen öffentlichen Räumen».
Nun sieht Tunis es als dringlich an, den Erlass auch wirklichdurchzusetzen - und nimmt dabei sogar «brüderliche» Kritik des inKatar ansässigen Fernsehsenders Al-Dschasira in Kauf. GelegentlichePolizeiaktionen gegen Kopftuchträgerinnen sollen abschrecken, Frauenin der Stadt Sfax wurde der «Voile» auf offener Straße weggerissen.
Nicht nur traditionsbewusste, konservative Muslime - der Islam istin Tunesien Staatsreligion, 99 Prozent sind muslimisch - kritisierendas. Oppositionelle sehen darin auch eine problematische Attacke aufdemokratische Freiheiten. So ist Präsident Ben Ali in der Zwickmühle.
Habib Bourguiba baute sich nach der Unabhängigkeit des Landes 1956eine Präsidialherrschaft mit uneingeschränkter Macht auf, schenkteder Tunesierin aber auch die Rechte, von denen Frauen in manchenLändern nur träumen können: Die Verfassung von 1959 hob die Polygamieund die Scharia auf, also die Gerichtsbarkeit des Islam. DieGleichstellung von Mann und Frau in dem arabischen Staat dersunnitischen Muslime gehörte zu Bourguibas Bausteinen einer modernenGesellschaft. Etwa die Hälfte der 2005 eingereichten Scheidungen gingvon Frauen aus. Lehrerinnen, Ärztinnen, Rechtanwältinnen prägendieses Land der zehn Millionen Tunesier ebenso wie junge Frauen dasCampus-Leben der Universitäten.
Der 70-jährige Ben Ali will hinter diese Errungenschaften dessozialistischen «Vaters der Unabhängigkeit», den er 1987 mit einemsanften Putsch abgelöst hatte, nicht zurück. Er hält die Islamistenin Tunesien geschickt und notfalls mit Gewalt auf Distanz, richtetdas kleine Land zwischen Algerien und Libyen wirtschaftspolitisch undtechnologisch auf Europa aus. Der Staatspräsident setzt dabei ganzauf Flexibilität. So werden etliche Moscheen gebaut, die allerdingsaußerhalb der Gebetszeit geschlossen bleiben müssen. Und Ben Ali weißwohl, dass Frauen mit ihrem Schleier nicht nur muslimische Traditiongegen «westliche Arroganz» setzen, sondern so auch Halt suchen - ineinem Land, das für manche zu rasant in die Moderne aufgebrochen ist.