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Tschechien Tschechien: Realistischer Träumer Vaclav Havel wird 70 Jahre alt

Von Wolfgang Jung 04.10.2006, 07:59
Der Tchechische Präsident Vaclav Havel (r) und Karel Gott geben sich vor einem Wohltätigkeitskonzert die Hände. (Foto: dpa)
Der Tchechische Präsident Vaclav Havel (r) und Karel Gott geben sich vor einem Wohltätigkeitskonzert die Hände. (Foto: dpa) CTK FILES

Prag/dpa. - Er schimpft vor laufenden Kameras auf RusslandsPräsident Wladimir Putin, meditiert hinter der Bühne mit US-PopstarMadonna und füllt während der Prager Buchmesse die größten Säle: Der tschechische Ex-Präsident Vaclav Havel ist mehr als drei Jahre nach seinem Abgang von der politischen Bühne weiter öffentlich aktiv. DerDramatiker, der am kommenden Donnerstag (5. Oktober) 70 Jahre altwird, gilt wie der Pole Lech Walesa und der Ungar Arpad Göncz alsSymbolfigur der Wende von 1989 in Osteuropa. Er selbst sieht diesgelassener: «Ich war ein Träumer und zugleich viel realistischer alsdie meisten Mitbürger», bilanzierte Havel einmal.

Erst im Mai feierte der gebürtige Prager nach 15 Jahren einerfolgreiches Comeback als Autor. Sein collagenhaftes Buch «Prosimstrucne» («Bitte kurz fassen»), das bald auch in Deutschlanderscheinen soll, schaffte es in nur drei Wochen auf Platz eins dertschechischen Verkaufsliste. Die etwa 250 Seiten bieten Tagebuch-Auszüge, Reflexionen über seine Zeit als Staatsoberhaupt (1989-2003)und ein umfangreiches Interview. Zuvor hatte Havel seit 1991 inTschechien nur Bücher mit seinen Präsidentenreden neu herausgegeben.

«Die Schriftstellerei ist eine einsame Tätigkeit, und es istparadox, dass gerade ich mich ihr widme», hatte er bereits 1981seiner Frau Olga aus dem Gefängnis geschrieben. Wegen seiner Kritikam sozialistischen Regime war er wiederholt in Haft. Früh bekam deram 5. Oktober 1936 geborene Havel die Macht des Staates zu spüren.Der Sohn eines Bauunternehmers durfte «wegen bürgerlicher Herkunft»nicht studieren und musste stattdessen Hilfsarbeiten verrichten. Erging trotzdem nicht ins Exil, sondern gehörte 1977 zu den Gründernder Demokratie-Bewegung «Charta 77» und war im November 1989treibende Kraft der als «Samtene Revolution» bezeichneten Wende.

Bereits 1990 hatte er die Grundzüge seiner Politik erläutert, diesich nach seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt im Februar 2003nicht geändert haben: Innenpolitisch wollte er die Entwicklung einerverantwortungsvollen «Bürgergesellschaft» vorantreiben helfen,außenpolitisch sein Land aus dem mitteleuropäischen «Machtvakuum»führen. Mit seiner Unterstützung für den NATO-Angriff auf Serbien1999 sowie den US-geführten Krieg gegen den Irak 2003 irritierte erviele, die den Philosophen nur als «guten Menschen von Prag» sahen.Sich als Pazifist für diese Waffengänge auszusprechen, sei möglich,argumentierte Havel: «Diktatoren darf man nicht einfach zuschauen.»

Auch privat kennt Havel Höhen und Tiefen. Der einstigeKettenraucher erkrankte an Lungenkrebs, vor zehn Jahren wurde ihmEnde 1996 der halbe Lungenflügel entfernt. Seither hat er chronischeAtemwegprobleme, die er mit häufigen Aufenthalten am Mittelmeerlindert. Das exzessive Rauchen hat Havel längst aufgegeben. Mehrnoch: Einer Anekdote zufolge versteigerte er nach erfolgreicherKrebsbehandlung seinen Präsidenten-Aschenbecher für wohltätigeZwecke.

Seinen 70. Geburtstag begeht Havel, der seit 1997 mit derSchauspielerin Dagmar Veskrnova verheiratet ist, als renommierterAutor und international geachteter Politiker «tschecho-slowakisch»:Der Jubilar will zunächst in Prag in einer ehemaligen Kirche feiern,die seine Stiftung «Vize 97» aufwendig renovieren ließ, und danach zuTheaterfreunden nach Bratislava reisen. Als Dramatiker wurde ermehrfach international ausgezeichnet. Anschließend wird Havel vonseinem Präsidenten-Nachfolger Vaclav Klaus empfangen. Ein pikanterTermin: Beide Politiker verbindet seit Jahren eine heftige Rivalität.