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Tschechien Tschechien: Kiffen auf der Karlsbrücke

21.01.2010, 07:01

Prag/dpa. - Pavel pafft Marihuana in Prag - und hat dabeineuerdings gar keine Angst mehr vor Polizisten. «Seit Neujahr darfich bis zu 15 Gramm Gras in der Tasche haben», zeigt sich Pavel gutinformiert in der Bar «Chapeau Rouge», die schon seit Jahren unterEinheimischen und Touristen als eine Art «Coffee-Shop» gilt, wo manDrogen zum Privatgebrauch kaufen kann. Die tschechische Regierung hatzum 1. Januar erstmals konkrete Grenzen festgesetzt, bei denenDrogenbesitz zum Eigenbedarf nicht mehr strafrechtlich verfolgtwerden soll.

Der Katalog des Erlaubten liest sich für Befürworter und Gegnerder Drogenfreigabe beeindruckend: 15 Gramm Marihuana, 1 Gramm Kokain,1,5 Gramm Heroin, 4 Ecstasy-Pillen, 5 Einheiten LSD, 2 GrammAmphetamine und so weiter. Bei der Festlegung der Höchstmengen habeman sich an daran orientiert, wie einheimische Gerichte den Begriff«Eigenbedarf» definierten, sagte Justizministerin Daniela Kovarova.Auch auf dem Papier hat Tschechien damit eines der liberalstenDrogengesetze Europas.

«Das war schon lange überfällig», meint Pavel, und zumindest inseiner Stammkneipe widerspricht dem niemand. Neben dem «ChapeauRouge» existieren allein im Prager Stadtzentrum mehr als ein Dutzendsolcher verrauchter Etablissements namens «Reggae-Bar» oder «Ujezd»,in denen schon jahrelang - oft nur hundert Meter entfernt von dernächsten Polizeiwache - der Gebrauch und auch der Verkauf sogenannterweicher Drogen toleriert war.

«Erstmal einen Drink bestellen, dann nochmal fragen», sagt derBarkeeper im «Chapeau Rouge», als ein neuer Gast wissen möchte, ob er«etwas zu rauchen kaufen» könnte. Der Dealer wartet dann bei denToiletten. Vor der Novelle galt in Tschechien, dass «kleine Mengen»Drogen von staatlicher Seite toleriert wurden - nur wusste niemand,wieviel die «kleine Menge» eigentlich bedeutet. Der Kleinhandel inden einschlägigen Lokalen lief weitgehend unbehelligt, zur«Legalisiert Marihuana»-Demonstration versammelten sich alljährlichAnfang Mai tausende Menschen.

Eine deutliche Sprache zur Situation finden die Statistiken derEU: Laut Jahresbericht 2009 der europäischen Beobachtungsstelle EBDDhaben 44 Prozent der Tschechen zwischen 15 und 24 Jahren bereitsmindestens einmal im Leben illegale Narkotika ausprobiert - das isteuropäischer Höchstwert. Besonderheit auf dem tschechischenDrogenmarkt seien Methamphetamine (als «Ice» oder «Crystal» bekannt),die stärker als Amphetamine wirken und aus Tschechien zunehmend auchin das Ausland gebracht werden, schreibt die EBDD.

Zeitungen in Prag berichteten, dass in Österreich und Deutschlanddie neuen Höchstmengen Ängste vor vermehrtem Drogenschmuggel geweckthaben. «Große Sorgen» bereite die neue Regelung, sagte demnach etwadie österreichische Innenministerin Maria Fekter. Auch an derdeutsch-tschechischen Grenze seien zusätzliche Kontrollen geplant,schrieb das bürgerliche Blatt «Lidove noviny». Im traditionellliberalen Tschechien regte sich hingegen kaum Protest, derDrogenhandel stehe ja weiter unter Strafe, betonen Politiker.

Die Drogenberatungsstellen kommentieren die neuen Richtlinien auszweierlei Sicht. «Die Entkriminalisierung ist natürlich positiv»,sagt etwa Jiri Richter von der Organisation Sananim, aber nach wievor kümmere sich der Staat nicht genug um Vorbeugung und Hilfe. Auchdie Hilfsorganisation Drop In moniert ein unzureichendesBetreuungsangebot für Drogensüchtige, das weit von den Massnahmen inWesteuropa entfernt sei.

Pavel und seine Kumpels stopfen unterdessen ihren nächsten Joint.«Viel geändert hat sich für uns nicht», sagt der junge Mann, «wirhaben doch schon früher unsere Cannabis-Stauden gepflegt». Fünfsolcher Hanfpflanzen darf nun übrigens jeder tschechischer Bürgerganz legal wachsen lassen. Erste Ergebnisse dazu, wie sich dieNeuregelungen auf die Drogenszene auswirken, erwartet die Regierungbis zum Herbst.