Tschechien Tschechien: Havel war ein Prediger der Versöhnung

Prag/München/dapd - Den einen ging das Schuldeingeständnis entschieden zu weit, andere sahen darin nicht mehr als einen ersten Schritt. Als der neue Präsident der Tschechoslowakei, Václav Havel, 1990 wenige Monate nach der «samtenen Revolution» die Vertreibungder Sudetendeutschen als Unrecht verurteilte, musste er erkennen, welch schweres Unterfangen die deutsch-tschechischeVersöhnungsarbeit ist. Entmutigen ließ er sich davon nicht.
Bei seinem Einsatz für die deutsch-tschechische Versöhnung ginges Havel stets um mehr als nur um die Verbesserung der Beziehungzweier Nationalstaaten. Es war für ihn ein zentraler Schritt auf dem Weg hin zum großen Ziel einer europäischen Wertegemeinschaft. «Gerade auch wir Deutsche haben ihm viel zu verdanken», betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntag und würdigte ihn als «großen Europäer».
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit als Staatspräsident hatte derfrühere Freiheitskämpfer ein klares Zeichen gesetzt: Nur vier Tage nach seiner Wahl führte ihn Anfang Januar 1990 seine ersteAuslandsreise nach Deutschland.
Am 15. März 1990, dem 51. Jahrestag der Besetzung der Prager Burg durch die Wehrmacht, empfing Havel seinen deutschen Amtskollegen Richard von Weizsäcker. Er sprach dabei nicht nur vom Leid, das die Deutschen den Tschechen zugefügt haben, sondern auch vom Unrecht der Vertreibung der Sudetendeutschen durch die Tschechen: «Statt alle, die ihren Staat verraten haben, ordentlich zu richten, haben wir sie aus dem Land vertrieben und so mit einer Strafe bestraft, die unsereRechtsordnung nicht kannte. Es war keine Strafe, es war Rache.»Viele unschuldige Menschen hätten dabei leiden müssen. Dertschechoslowakische Präsident verurteilte in diesem Zusammenhang«das unmoralische Prinzip der Kollektivschuld».
Ähnlich äußerte sich Havel im Lauf seiner insgesamt 13-jährigenAmtszeit als tschechoslowakisches und später tschechischesStaatsoberhaupt bei zahlreichen weiteren Anlässen. Bei vielenTschechen war diese Haltung allerdings unpopulär. Immer wieder wurde dem damaligen Präsidenten vorgeworfen, er missbrauche seine Stellung, er überschreite seine Kompetenzen, wenn er sich für «eine gerechte Strafe für die bestialischen Taten» der Deutschen entschuldige. So war Havel mehr ein Prediger der Versöhnung als ein Volksvertreter, der für die Bevölkerung seines Landes spricht. Ein großer Teil der Tschechen teilte seinen Standpunkt zur Vertreibung nicht.
Manch sudetendeutscher Funktionär wiederum sah sich durch HavelsEntschuldigung zur Forderung nach deutlich weitergehenden Schritten ermutigt: die umstrittenen Benes-Dekrete müssten zurückgenommen und die aus ihrer Heimat vertriebenen Deutschen entschädigt werden. Beiden Forderungen erteilte der Präsident aber eine klare Absage.
Im Bundestag sagte Havel 1997, genauso wie Deutschland denZehntausenden Opfern des Nationalsozialismus nicht das Lebenzurückgeben könne, «kann auch die heutige Tschechische Republik den vertriebenen Deutschen nicht ihre frühere Heimat zurückgeben». Und doch versicherte er den Sudetendeutschen, «dass sie bei uns willkommen sind, nicht nur als Gäste, sondern auch als unsere früheren Mitbürger, beziehungsweise ihre Nachkommen, die hier ihre jahrhundertealten Wurzeln und ein Recht darauf haben, dass wir ihre Verbindung zu unserem Land wahrnehmen und achten».