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Todesstrafe Todesstrafe: Illinois reißt Debatte wieder auf

12.01.2003, 17:09
Blick in die "Todeskammer" des Staatsgefängnisses von Huntsville (US-Bundesstaat Texas). (Foto: dpa)
Blick in die "Todeskammer" des Staatsgefängnisses von Huntsville (US-Bundesstaat Texas). (Foto: dpa) AFP/epa

Washington/dpa. - «Unglaublich. Es geschehen noch Wunder.» Mit diesen Worten trat Aaron Patterson nach 16 Jahren in der Todeszelle am Freitag in Chicago in die Freiheit. In all den Jahren hatte er gegen die Verurteilung für einen Doppelmord gekämpft, den er nach eigenen Angaben nie begangen hat. Der Gouverneur von Illinois, George Ryan, glaubte ihm, nachdem eine Kommission haarsträubende Fehler im Rechtssystem von Illinois aufgedeckt hatte.

Die Generalbegnadigung für mehr als 160 Todeskandidaten in Illinois ist in den USA beispiellos und hat eine hitzige Debatte über das Für und Wider der Todesstrafe losgetreten. «Die Leute fragen sich, ob die Todesstrafe mit den Werten der amerikanischen Gesellschaft vereinbar ist», sagte der Politikprofessor Austin Sarat vom Amherst College der «New York Times». «Was in Illinois abgelaufen ist, werden wir im ganzen Land sehen.»

Seit den 70er Jahren hat sich bei mehr als 100 Menschen, die schon zum Tode verurteilt waren, später die Unschuld herausgestellt. Für manchen kam die Erkenntnis der Ermittler allerdings zu spät. Wie viele Unschuldige hingerichtet wurden, ist unbekannt.

Im April bestätigte eine DNA-Analyse die Unschuld von Ray Krone, der wegen Mordes in Arizona verurteilt worden war und auf seine Hinrichtung wartete. Er verbrachte zehn Jahre in der Todeszelle. Earl Washington wurde im Oktober 2000 in Virginia freigesprochen. Vergewaltigung und Mord, für die er 17 Jahre in der Todeszelle verbracht hatte, gingen auf das Konto eines anderen. 1985 war seine Hinrichtung nur eine Woche vor dem geplanten Termin aufgeschoben worden.

Beobachter sehen bereits eine Trendwende. Im vergangenen Jahr waren mit 155 so wenige Anklagte wie seit 30 Jahren nicht mehr zum Tode verurteilt worden. «Ankläger und Geschworene sind sorgfältiger», meint Joshua Marquis vom Verband der Staatsanwälte.

Aktivisten weisen seit Jahren auf eklatante Missstände im amerikanischen Rechtssystem hin. Die allermeisten Mordverdächtigen sind mittellos und werden von gerichtsbestellten Anwälten vertreten, die wenig Enthusiasmus an den Tag legen. Schwarze werden öfter zum Tod verurteilt als Weiße. In Mordprozessen mit weißen Opfern ist die Wahrscheinlichkeit, dass für den Angeklagten die Todesstrafe verlangt wird, vier Mal höher, fand Professor David Baldus 1990 heraus.

Die «Chicago Tribune» fand vor drei Jahren heraus, dass 33 Angeklagte in Mordprozessen von Rechtsanwälten vertreten worden waren, denen schon einmal die Lizenz wegen Inkompetenz entzogen worden war. In 46 Fällen stützte sich die Anklage auf Bezichtigungen von Gefängnisinsassen, eine notorisch unzuverlässige Quelle. In 35 Fällen wurden Schwarze von einer weißen Jury verurteilt - Ankläger hatten bei der Geschworenenauswahl Schwarze gezielt abgelehnt.

«Nirgendwo ist die Rassendiskriminierung deutlicher als bei der Verhängung der Todesstrafe», schreibt Amnesty International. Der Juristenverband Bar Association mit 400 000 Mitgliedern verlangte 1997 ein Moratorium auf die Vollstreckung der Todesstrafe.

Obwohl sich bei Umfragen immer eine große Mehrheit der Amerikaner für die Todesstrafe ausspricht, hat der Oberste Gerichtshof im vergangenen Jahr zwei Riegel vorgeschoben: Todesurteile dürfen nicht von Richtern, sondern nur von Geschworenen verhängt werden. 150 Verurteilungen in mehreren Bundesstaaten wurden damit hinfällig. Außerdem erklärten die Richter die Hinrichtung von geistig Behinderten für verfassungswidrig.

Das gilt nicht für Minderjährige. Justizminister John Ashcroft hatte den bevorstehenden Prozess gegen den Minderjährigen der beiden Heckenschützen, die im Oktober in Washington zehn Menschen aus dem Hinterhalt erschossen, extra nach Virginia verlegt. Dort erlauben die Statuten ausdrücklich die Hinrichtung von Minderjährigen. Ashcroft wollte sicherstellen, dass der 17-jährige John Lee Malvo bei einem Schuldspruch hingerichtet werden kann.

Zahl der Todeszellen-Insassen und Hinrichtungen in den USA. (Grafik: dpa)
Zahl der Todeszellen-Insassen und Hinrichtungen in den USA. (Grafik: dpa)
dpa