Tabak-Industrie Tabak-Industrie: Korruption oder Komplott?
Brüssel/MZ. - Ein Polit-Thriller könnte es werden. Mal wieder. Und mal wieder würde die Tabakindustrie im Zentrum stehen. Die Zutaten für einen guten Film sind alle vorhanden: Ein weißhaariger EU-Kommissar mit großväterlichem Habitus, der im Verdacht der Bestechlichkeit steht. Eine Spitzenlobbyistin, eiskalt abserviert, weil sie in den Augen der mächtigen Tabakbosse versagt hat. Und ein nächtlicher Einbruch in die Büros von drei Anti-Tabak-Organisationen, bei dem die Diebe Laptops, Kreditkarten und die Portokasse mitgehen lassen und ungesehen verschwinden können.
Das ist die Bilanz der vergangenen Wochen. Allein in diesem Zeitraum starben zudem weltweit fast 300 000 Menschen an den Folgen des Tabakkonsums, davon mehr als 5 000 in Deutschland.
Die "tödliche Industrie" (Weltgesundheitsorganisation) erregt mal wieder viel Aufmerksamkeit. Weltweit kämpfen Regierungen so entschlossen wie nie zuvor gegen den Tabakkonsum. Sie erlassen Werbeverbote, führen Einheitsschachteln ein, lassen gruselige Bilder auf die Verpackungen drucken und verbannen Geschmacksstoffe wie Vanille, Schokolade oder Erdbeere aus den Glimmstängeln. Von "Folterinstrumenten" redet der Deutsche Zigarettenverband. Und es scheint fast normal zu sein, dass dieser Kampf zwischen Politik und Industrie erhebliche Opfer fordert.
Dünne Beweislage
In diesen Tagen wollte die Europäische Kommission ihre lange erwartete, vielfach aufgeschobene Tabakrichtlinie vorlegen. Dazu ist es nicht gekommen. Denn nun wurde der zuständige Kommissar John Dalli geschasst. Der ihm nahestehende Geschäftsmann Silvio Zammit soll von einem Tabak-Lobbyisten 60 Millionen Euro für ein Treffen mit dem Kommissar gefordert haben. Unmittelbar vor der Forderung habe sich Dalli mit dem Geschäftsmann getroffen, berichtet das Wall Street Journal. Dalli weist die Vorwürfe entschieden zurück. Zammit habe nie mit ihm über die Vorgänge gesprochen. Und die Beweislage ist ausgesprochen dünn.
Seinerseits verbreitet Dalli Gerüchte, dass es sich bei dem Vorgang um ein Komplott der Tabaklobby handelt. Er berichtet, dass die Tabakdirektive in den vergangenen Monaten innerhalb der EU-Kommission mehrmals aus für ihn nicht nachvollziehbaren Gründen ausgebremst worden sei. Was dran ist an dieser Geschichte, lässt sich von Außen kaum beurteilen. Dalli aber ist überzeugt, dass jetzt, wo er nicht mehr da ist "diese Richtlinie nie das Licht des Tages sehen wird". Mit drastischen Warnhinweisen und einer harten Regulierung wollte er junge Menschen, vor allem junge Frauen, die einzige noch wachsende Klientel, vom Rauchen abhalten. Nun stellt sich Beobachtern die Frage: Korruption oder Komplott?
Die Tabakgegner jedenfalls sind auf Dallis Seite. In ihrer Haltung bestärkt sie ein mysteriöser Einbruch in ein Brüsseler Geschäftshaus zwei Tage nach Dallis Rauswurf. Die Diebe brachen bei der European Respiratory Society, der Smoke Free Partnership und der European Public Health Alliance sowie in ein Anwaltsbüro ein. Alle drei Organisationen kämpfen gegen die Tabakindustrie. "Wichtige und sensible Informationen die Tabakdirektive und die Industrie betreffend wurden gestohlen", hieß es. Die Ermittlungen laufen. Die Tabakunternehmen fürchten sich vor der aktuellen Regulierungswelle sehr. Unzweifelhaft ist die Politik derzeit das größte Risiko für die weitere Geschäftsentwicklung. "Grundlagen für die Zukunft durch eine proaktive Gestaltung unseres externen Umfelds zu schaffen, ist entscheidend für nachhaltiges Umsatzwachstum", heißt es im Geschäftsbericht von Imperial Tobacco. Es soll also verhindert werden, dass die Politik dem Hersteller von Davidoff, Gauloises Blondes und West-Zigaretten in die Quere kommt bei dem Versuch, "die Wünsche von mehr Konsumenten in mehr Märkten (zu) erfüllen".
Marianne Tritz gehörte zu denjenigen, die diesen Schutzwall errichten sollten. Die ehemalige Grünen-Politikerin führte fünf Jahre die Geschäfte des Deutschen Zigarettenverbandes. Bis zu dieser Woche. Dann wurde sie gefeuert. Die Tabakbosse waren mit ihrer Arbeit offenbar nicht zufrieden. Dabei ist es für die Tabakindustrie von überragender Bedeutung, dass die Lobbyarbeit in Deutschland funktioniert.
"Deutschland ist politisch und wirtschaftlich der gewichtigste Akteur in Brüssel", sagt ein Toplobbyist der Branche. "Hier haben wir über Jahrzehnte einen guten Draht zur Politik aufgebaut. Die Regierung ist unseren Argumenten gegenüber aufgeschlossen." Der Austausch zwischen der Regierung und der Industrie ist rege. Vom Januar 2010 bis zum März 2012 haben sich die Staatssekretäre nach Angaben der Bundesregierung zwölf Mal Zeit genommen für Gespräche mit der Tabakindustrie. Inoffizielle Treffen, etwa auf Abendveranstaltungen, sind da noch gar nicht eingerechnet. Zu Gesprächen im Kanzleramt, wo die Tabaklobby traditionell gute Kontakte hin hat, sowie zu Gesprächen mit der Ministerialbürokratie machte die Regierung auf Anfrage der Grünen im Bundestag keine Angaben.
Tabaklobbyisten trafen sich mit Staatssekretären des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, des Gesundheitsministeriums, und des Finanzministeriums (jeweils zwei Treffen) und des Justizministeriums (eins). Besonders viele Treffen aber gab es im Wirtschaftsministerium, nämlich fünf an der Zahl. Es sei davon auszugehen, dass noch weitere Gespräche geführt würden, so die Bundesregierung. Weitere Einblicke werden nicht gewährt.
Blick in geheime Dokumente
Interessant ist deshalb ein Blick zurück. Zur Jahrtausendwende wurde das internationale Rahmenabkommen zur Tabakkontrolle, das jetzt umgesetzt wird, auf den Weg gebracht. Abertausende geheime Dokumente aus dieser Zeit wurden nach Gerichtsprozessen in den USA veröffentlicht und ausgewertet. Intensiv damit beschäftigt hat sich Thilo Grüning, Forscher an der Universität Bath in England. "Unsere Studienergebnisse legen nahe, dass die Tabakindustrie erfolgreich die Positionen der deutschen Regierung beeinflusst hat", schreibt sein Forscherteam.
Gelungen sei das etwa, in dem die Lobby die verschiedenen Bundesministerien gegeneinander ausgespielt habe. Die Arbeit der Lobbyisten führte damals dazu, dass manches Ministerium das Thema überhaupt erst entdeckte und seine Interessen geltend machte. Der Einfluss des zuständigen Gesundheitsministeriums wurde so immer geringer. "Deutschlands Position diente durchwegs dazu, Industrieinteressen zu schützen und wurde dazu benutzt, andere Länder zu beeinflussen und zu behindern", so die Forscher um Grüning.