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Sturm auf Stasi-Zentrale Sturm auf Stasi-Zentrale: Wurde wütende Menge am 15. Januar 1990 abgelenkt?

Von Jutta Schütz 12.01.2005, 06:55
Zwei junge Männer entdecken im Keller der Zentrale des Amtes für Nationale Sicherheit in Berlin Warenregale mit Lebensmitteln und Spirituosen (Archivfoto vom 15.01.1990). (Foto: dpa)
Zwei junge Männer entdecken im Keller der Zentrale des Amtes für Nationale Sicherheit in Berlin Warenregale mit Lebensmitteln und Spirituosen (Archivfoto vom 15.01.1990). (Foto: dpa) dpa

Berlin/dpa. - Die Wut war nicht mehr zu stoppen. Als am 15. Januar 1990 aufgebrachte Demonstranten in die Berliner Stasi-Zentraleeindrangen, konnten sie es nicht fassen: Räucheraal und Krabben auf der Kantinen-Speisekarte, mit Roastbeef und Haifischflossensuppe in Dosen gefüllte Lagerräume, holzgetäfelte Konferenzräume. Statt ihrerStasi-Akten sahen sie diesen für DDR-Verhältnisse unvorstellbarenLuxus. Aus Wut und Ohnmacht zerstörte die aufgebrachte Menge in demfestungsartigen Bürokomplex in der Normannenstraße Stühle und Tische,riss Waschbecken heraus und warf Honecker-Bilder aus den Fenstern.

Bis heute halten sich Gerüchte, dass die wütende Menge in den sogenannten Versorgungskomplex «abgelenkt» wurde - vielleicht sogar vongetarnten Stasi-Leuten. Zunächst hatten sich die Demonstranten vordem früheren Ministerium von Stasichef Erich Mielke im StadtteilLichtenberg nach einem Aufruf des Neuen Forums versammelt, um gegendie Weiterarbeit der Stasi zu protestieren. Symbolisch wurde einEingang zugemauert. Drinnen verhandelten bereits Vertreter vonBürgerkomitees. Doch als die Tore geöffnet wurden, eskalierte dieSituation. Viele Stasi-Leute waren aber nach Hause geschickt worden,nur vor versiegelten Türen standen Wachleute.

Bürgerrechtler erklärten sich vom Runden Tisch aus bereit, vor Ortzu fahren. Konrad Weiß und Rainer Eppelmann schlugen vor, zuvor eineErklärung zu verbreiten. Der Aufruf in Rundfunk und Fernsehen endetemit den Worten: «Bitte keine Gewalt.» Auch Ministerpräsident HansModrow eilte in die Normannenstraße, um über Lautsprecher zurBesonnenheit aufzurufen. Die Aufrufe fruchteten schließlich: DieDemonstranten verließen das Gebäude, die Eingänge wurden gesichert.

In einer Meldung der DDR-Nachrichtenagentur ADN hieß es am Abend:«Ein Bürgerkomitee hat in der Normannenstraße das Kommandoübernommen.» Am nächsten Morgen schätzte es die Ost-Berliner Polizeials Verdienst von Bürgerkomitees und Oppositionsgruppen ein, dass eskeine Toten oder Schwerverletzten gab.

Der Sturm auf die Stasi-Zentrale vor 15 Jahren besiegelte denUntergang des DDR-Geheimdienstes. Es sei ein einmaliges historischesEreignis, dass einfache Bürger einen aktiven Geheimdienst endgültigzu Fall brachten, sagt die frühere Bürgerrechtlerin MarianneBirthler, die heute die Stasi-Unterlagenbehörde leitet. Schon dreiTage vor dem 15. Januar 1990 musste die Regierung Modrow wegen derDauer-Demonstrationen von Plänen abrücken, ein Amt fürVerfassungsschutz an Stelle des Geheimdienstes zu errichten.

Nach damaligen Erkenntnissen der Bürgerkomitees, die die Auflösungdes Sicherheitsdienstes nach der Wende im Herbst 1989 überwachten,waren Anfang 1990 noch tausende Stasi-Leute im Dienst. Die BerlinerZentrale funktioniere nach wie vor, monierten sie. Und die Stasi-Leute waren nicht untätig: Massenhaft gingen Papiere durch dieReißwölfe. Dass es nicht noch mehr wurden und Akten gerettet wurden,sei auch dem Sturm auf die Stasi-Zentrale zu verdanken, hieß es. DieStasi-Verwaltungen in den Bezirken waren schon zuvor besetzt worden.

Bis heute gibt es aber auch Ungeklärtes. Wohl auch deshalb stehendie Veranstaltungen zum 15. Jahrestag unter dem Titel «Ende derDienstzeit in der Normannenstraße - Die Besetzung der Stasi-Zentrale- ein Mythos?» So gibt es weiter Spekulationen, dass unter denDemonstranten auch Mitarbeiter westlicher Geheimdienste gewesen seinsollen, die gezielt in bestimmte Räume vordrangen. Ob andereGeheimdienstler an jenem Tag in der Normannenstraße waren, sei nachwie vor unklar, sagt Birthler-Sprecher Christian Booß. «Definitiv istaber, dass Unterlagen verschwanden.»