Studie Studie: DDR-Häftlinge leiden unter «Knastmauke»

Berlin/Bonn/dpa. - Folter vergisst man nicht. Selbst wenn sieüber 40 Jahre zurück liegt. Angelika Hartmann saß in der DDR 17Monate im Gefängnis, wegen «Anstiftung zur Republikflucht». Es mussschlimm gewesen sein. «Schon mit ansehen zu müssen, wie andere sichumbrachten und sich mit der Schnur vom Bügeleisen an der Deckeaufhängten», berichtet Hartmann, die in Falkensee bei Berlinaufwuchs. Auch sie sei während der Haft misshandelt worden, mehreregesunde Backenzähne seien ihr gezogen worden. Die ehemaligePostangestellte hat bis heute Schmerzen, Panikattacken,Schlafstörungen. «Es gibt Tage, an denen ich nicht mehr kann.»
Hartmann ist eine von rund 200 000 früheren politischenHäftlingen, die in der DDR in Berlin-Hohenschönhausen, Bautzen oderanderen Gefängnissen saßen. Rechtlich wurden sie nach der Einheitzwar meist rehabilitiert. Aber wie geht es ihnen gesundheitlich,welchen Platz haben sie in der Gesellschaft? DieSozialwissenschaftlerin Sibylle Plogstedt hat das jetzt auf breiterBasis untersucht und 800 ehemalige politische DDR-Gefangene befragt.
«20 Jahre nach der Deutschen Einheit sind die Häftlinge nochnicht zur Ruhe gekommen», lautet ihr Fazit. Ausführlich sind dieErgebnisse in Plogstedts Buch «Knastmauke. Das Schicksal vonpolitischen Häftlingen der DDR nach der deutschen Wiedervereinigung»nachzulesen. Grundlage für das knapp 500 Seiten umfassende Buch istdie sogenannte Essener Studie - mit 802 Befragten die ersterepräsentative Untersuchung über das Schicksal von politischenHäftlingen im gesamten Ex-DDR-Staatsgebiet.
Danach leiden viele Ex-Inhaftierte bis heute unter körperlichenund seelischen Traumata. Fast 62 Prozent der Befragten haben demnach Alpträume, viele hegen Suizidgedanken. Aber auch wirtschaftlich seideren Lage «katastrophal», konstatiert Plogstedt. Fast die Hälfteder Befragten müsse mit weniger als 1000 Euro im Monat auskommen.Nach dem Mauerfall wurden 46 Prozent arbeitslos und blieben es oft.
Plogstedt weiß, was politische Haft in einer Diktatur bedeutet.Als Studentin der Freien Universität Berlin reiste sie 1968 in dieTschechoslowakei und geriet in die Wirren des Prager Frühlings. Alssie mit Gleichgesinnten beim Verbreiten von Flugblättern gegen dastotalitäre System erwischt wurden, bekamen sie mehrjährigeGefängnisstrafen - wegen «antistaatlicher Tätigkeit».
Die junge Frau saß zweieinhalb Jahre hinter Gittern. «Ich hattelange damit zu tun, mit den Folgen der Haft klarzukommen», sagt sie.Mit ihrer Studie über das Schicksal der politischen DDR-Häftlingehofft sie nun auch, deren Situation mit zu verbessern. Momentanbeträgt die monatliche Rente für die Opfer des SED-Regimes 250 Euro.«Die Opfer des Nazi-Regimes bekommen 750 Euro. Das ist eine sehrerhebliche Opferhierarchie», kritisiert die Sozialwissenschaftlerin.«Im Grunde ist es ein Skandal, dass wir aus dem Nationalsozialismusnicht gelernt haben, wie man mit Opfern anständig umgeht.»
Angelika Hartmann wäre vielleicht nie im Gefängnis gelandet, wäreda 1965 nicht ein Konzert der Rolling Stones in der West-BerlinerWaldbühne gewesen. Da wollte die damals 15-Jährige trotz der Mauerunbedingt hin. Zwischen Falkensee und Berlin-Spandau robbte sie miteiner Freundin über die Grenze - damals noch aus Stacheldraht. «DerWest-Berliner Senat verhandelte dann mit der DDR-Regierung, dass ichnicht bestraft werde, wenn ich zurückgehe», erzählt sie inPlogstedts Buch. Ein halbes Jahr später klickten trotzdem dieHandschellen.
Sibylle Plogstedt: Knastmauke. Das Schicksal von politischenHäftlingen der DDR nach der deutschen Wiedervereinigung,Psychosozial-Verlag, Gießen, 472 Seiten, 32,90 Euro, ISBN978-3837920949