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Stasi-Unterlagen Stasi-Unterlagen: Staatsminister unterstützt Roland Jahn

Von Markus Decker 06.11.2012, 12:53
Blick auf den Schreibtisch von Erich Mielke im Dachgeschoss des Hauses 1 der ehemaligen Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in der Normannenstraße 1 in Berlin-Lichtenberg. Mielke war von 1957 bis 1989 Minister für Staatssicherheit der DDR. (ARCHIVFOTO: DPA)
Blick auf den Schreibtisch von Erich Mielke im Dachgeschoss des Hauses 1 der ehemaligen Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in der Normannenstraße 1 in Berlin-Lichtenberg. Mielke war von 1957 bis 1989 Minister für Staatssicherheit der DDR. (ARCHIVFOTO: DPA) Zentralbild

Berlin/MZ. - . Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) sagte der MZ. „Die Aufklärung muss weiter gehen. Von daher hat die Idee eines Campus der Demokratie meine Sympathie.“

Gleichwohl könne es sinnvoll sein, die Stasi-Akten 2019 ins Bundesarchiv zu überführen. Dies sei kein Widerspruch. Kritiker wie der Vorsitzende des Behörden-Beirates Richard Schröder befürchten, der „Campus der Demokratie“ sei Mittel zum Zweck, um die 1 600-köpfige Behörde zu verewigen.

Der Fall des Günter Guillaume war spektakulär. Der Stasi-Spion war aus der DDR in die Bundesrepublik eingeschleust worden und hatte es bis in die Nähe des SPD-Kanzlers Willy Brandt gebracht. Guillaume wurde 1974 enttarnt. Brandt nahm seinen Hut. Es war eine Zäsur in der westdeutschen wie in der deutsch-deutschen Geschichte. Die Entspannungspolitik geriet ins Zwielicht.

Fast 38 Jahre später gibt es einen ähnlichen Fall. Im Zentrum stehen das Ehepaar Wolfgang und Barbara Deuling aus Bonn - und Helmut Müller-Enbergs, der renommierteste Stasi-Forscher in der Berliner Stasi-Unterlagen-Behörde, der aus Haltern im Münsterland stammt. Letzterer hat in einer Studie die ehemaligen SPD-Mitarbeiter mit den Inoffiziellen Stasi-Mitarbeitern IM „Bob“ und IM „Petra“ in Verbindung gebracht. Diese haben ihn daraufhin verklagt. Der Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde, Roland Jahn, wiederum gewährt Müller-Enbergs keinen Rechtsschutz. Auch aufgrund eines Präzedenzfalles geht er davon aus, dass sein Star-Forscher die weitere Auseinandersetzung verliert.

Parallelen mit Fall Guillaume

Zwar existieren Parallelen mit dem Fall Guillaume. Der heute 71-jährige Soziologe Wolfgang Deuling arbeitete nicht für Brandt, stattdessen jedoch für den inzwischen ebenfalls verstorbenen SPD-Politiker Hans-Jürgen Wischnewski (Spitzname: „Ben Wisch“), der ein Vertrauter des Brandt-Nachfolgers Helmut Schmidt war. Er engagiert sich jetzt für die Linkspartei. Barbara Deuling stand ihrerseits in Diensten der SPD-Bundestagsfraktion.

Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ formulierte vorsichtig und basierend auf Müller-Enbergs Erkenntnissen: „Von dort, wo Wolfgang Deuling arbeitete, wurden dienstliche Dokumente von IM „Bob“ an die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit geliefert; von dort, wo seine Frau tätig war, kamen solche von IM „Petra“.“ Insgesamt ist von 951 Dokumenten und Berichten die Rede; bei Guillaume waren es 50. Ein ehedem hoher hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter hat erklärt, das Paar einmal jährlich in der DDR getroffen zu haben. Trotzdem hat das Hanseatische Oberlandesgericht eine einstweilige Verfügung erlassen. Danach darf Müller-Enbergs keine Verbindung mehr herstellen zwischen den Deulings einerseits und den IM „Bob“ und „Petra“ andererseits. Es hieß unter anderem, die Glaubwürdigkeit ehemaliger Stasi-Offiziere sei fragwürdig.

Müller-Enbergs Vorgesetzter zweifelt offenbar nicht daran, dass sein ebenso eigenwilliger wie fähiger Wissenschaftler recht hat. Andere vor ihm haben ähnliche Behauptungen über die zwei Bonner aufgestellt - so der Journalist Heribert Schwan. Doch während Müller-Enbergs den Rechtsstreit aus grundsätzlichen Erwägungen ausfechten will, schätzt Jahn das Prozessrisiko als zu hoch ein und gab klein bei, indem er eine Unterlassungserklärung unterschrieb. Müller-Enbergs erhielt daraufhin Zuspruch von anderen Wissenschaftlern und von Kollegen aus dem eigenen Haus. Manche stellten ihm dem Vernehmen nach jene finanzielle Hilfe in Aussicht, die die Hausleitung ihm verwehrt. Das Risiko des Forschers liegt irgendwo zwischen 5 000 und 10 000 Euro.

Insider sagen denn auch, Jahn mache einen Fehler, wenn er seinen Mann nicht schütze. Der Vorsitzende des Behörden-Beirates, Richard Schröder, stärkt Jahn hingegen den Rücken. „Dass die Behörde den Rechtsschutz nicht stellt, ist zwingend“, findet er. Sie könne schon aus formalen Gründen nicht Geld geben, wenn ein Angestellter auf eigene Faust agiere. Denkbar wäre, dass Müller-Enbergs den Rechtsschutz einklagt.

Sind West-IM tabu?

Daran, dass es um mehr geht als um die Deulings, besteht für Insider kein Zweifel. Müller-Enbergs war es, der den West-Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras als Stasi-Mitarbeiter identifizierte. Dieser hatte 1967 auf den Studenten Benno Ohnesorg geschossen. Eine Expertise über die Stasi im Bundestag ist kürzlich fertig geworden. Ähnliche Werke über Spionage im Westen auch von Müller-Enbergs sind in Arbeit. Ohnehin sind einige Fachleute der Meinung, das Stasi-Thema werde immer dann mit Samthandschuhen angefasst, wenn ihre West-Aktivitäten berührt seien. Schon Jahn-Vorgängerin Marianne Birthler hatte auf dem Feld große Schwierigkeiten.

Müller-Enbergs jedenfalls sieht die Freiheit der Stasi-Forschung in Gefahr, wenn die Deulings gewinnen. Schließlich gehöre zur Freiheit der Wissenschaft die Freiheit der Veröffentlichung. Dem ist schwer zu widersprechen.

Papierschnipsel von Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in einem Sack in der Stasi-Unterlagenbehörde. (FOTO: ARCHIV/DPA)
Papierschnipsel von Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in einem Sack in der Stasi-Unterlagenbehörde. (FOTO: ARCHIV/DPA)
dpa