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Stasi-Debatte Stasi-Debatte: Dicke Luft in Potsdam

Von ANDREA BEYERLEIN 02.12.2009, 19:29

POTSDAM/MZ. - Blass und schmallippig gibt Matthias Platzeck Auskunft. Seit Mitte November, seit seine rot-rote Koalition von immer neuen Stasi-Enthüllungen heimgesucht wird, hat sich der 55-jährige SPD-Chef und Ministerpräsident nur in dürren Presseerklärungen zu dem Thema geäußert, das das Außenbild Brandenburgs um mehr als ein Jahrzehnt zurückgeschmettert hat: Als das Land noch mit dem Spottnamen "kleine DDR" versehen war.

"Ich habe mich schon besser gefühlt", sagt er. Einen für diese Woche geplanten Kurzurlaub hat er längst abgesagt. Er kündigt eine persönliche Erklärung an auf der von der Opposition für morgen durchgesetzten Sondersitzung des Landtages. Er sagt, dass er sich von den beiden Linken-Abgeordneten Gerd-Rüdiger Hoffmann und Renate Adolph, die ihre Stasi-Mitarbeit erst nach Medienrecherchen einräumten, getäuscht fühlt. Und bei der von ihrem Amt als Landtags-Vizepräsidentin zurückgetretenen Gerlinde Stobrawa sehe er "noch Klärungsbedarf".

Widerstrebend gibt Platzeck nach einer Fraktionssitzung seiner Partei Antwort auf Journalistenfragen. Ja, die Stasi-Debatte belaste die Regierungsarbeit und beschädige den Ruf des Landes. Die Entscheidung für die Koalition mit der Linken stehe für ihn dennoch nicht infrage: "Ich habe sie bewusst getroffen. Vielleicht hat die Debatte auch reinigende Wirkung." Platzeck hatte nach dem SPD-Erfolg bei der Landtagswahl im September den Koalitionspartner gewechselt. An die Stelle der CDU trat die Linkspartei - nun sorgt die Stasi-Debatte für dicke Luft in Potsdam.

Die Stimmung ist aufgeheizt. Bislang liegen nur einigen Medien Aktenauskünfte aus der Birthler-Behörde zu den neuen Stasi-Fällen vor. Das macht die SPD und vor allem die bislang von Enthüllungen einzig betroffene Linksfraktion zu Getriebenen. Alle fünf Landtags-Fraktionen haben nach eigenen Angaben inzwischen Prüf-Anträge an die Birthler-Behörde gestellt. Auf dieser Basis könnten aber nur "Auskünfte an die Privatadresse der einzelnen Abgeordneten" erteilt werden, heißt es dort. Das für eine geregelte Überprüfung nötige Gesetz steht noch aus.

Die Nerven liegen blank. Das kann auch die sonst so nüchterne Linken-Fraktionschefin Kerstin Kaiser nicht mehr verbergen. Sie ist mehrfach den Tränen nahe. Seit Anfang der 90er Jahre hat sie sich zu ihrer IM-Vergangenheit bekannt. 1994 musste sie auf Druck der eigenen Partei ihr Bundestagsmandat niederlegen.

Bei vielen in der Linksfraktion, besonders bei den Jüngeren, herrschen Wut und Trauer über die Stasi-Enthüllungen in den eigenen Reihen. "Wir haben die Frage vor und nach den Wahlen gestellt", sagt Kaiser resigniert. Mit wie vielen Fällen sie noch rechnet? "Darauf kann ich keine Antwort geben." Die 49-Jährige räumt ein: "Wir haben politischen Schaden angerichtet.

Wir akzeptieren, dass die SPD enttäuscht ist." Die Stasi-Debatte weitet sich unterdessen zu einem handfesten Konflikt zwischen der rot-roten Koalition und der Birthler-Behörde aus. Führende Politiker von SPD und Linkspartei werfen der Behörde vor, eine Hexenjagd zu betreiben, nachdem sie gestern Akten zu einem vermeintlichen weiteren Stasi-Fall in der Linksfraktion veröffentlichte. Landtagspräsident Gunter Fritsch (SPD) bat Behördenchefin Marianne Birthler in einem Brief, künftig das Stasiunterlagengesetz einzuhalten. Danach müsse bei neuen Erkenntnissen über Abgeordnete die "zuständige Stelle" informiert werden. Das wäre das Landtagspräsidium.

In dem neuen Fall geht es um den Abgeordneten Michael Luthardt. Die auf Journalistenanfragen herausgegebenen Akten belegen, dass der heute 51-Jährige seinen Wehrdienst von 1977 bis 1980 im MfS-Wachregiment "Feliks Dzierzynski" ableistete. Dazu musste er auch eine Verpflichtung als Soldat auf Zeit abgeben. "Eine Verpflichtung als Inoffizieller Mitarbeiter oder Berichte liegen nicht vor", sagt Behördensprecherin Helvi Abs. Sie stufte die Akten als "nicht dramatisch" ein. Darin ist auch vermerkt, dass Luthardt das Angebot einer hauptamtlichen Stasi-Tätigkeit ablehnte.

Die Fraktionen von CDU, FDP und Grünen haben mittlerweile zusammen getagt. Ein Novum. CDU-Fraktionschefin Johanna Wanka spricht hinterher von einer "schweren Vertrauens- und Regierungskrise". Die Sondersitzung sei auch ein Versuch, das bundesweit beschädigte Ansehen des Landes wieder herzustellen. Ein Schlusspunkt sei damit aber nicht zu erwarten. "Es kann ja jeden Tag etwas Neues geben." Die Oppositionsfraktionen sind sich einig, dass Abgeordnete im Falle von Stasi-Verstrickungen ihr Mandat niederlegen müssten.

Und der Druck auf die SPD wächst. CDU-Chefin Wanka, deren Partei bei den Koalitionsverhandlungen mit der SPD gegenüber der Linkspartei den Kürzeren zog, sagte, sie empfinde angesichts der Stasi-Fälle keine Häme, aber Wut. Es sei beschämend, wie Brandenburg bundesweit blamiert werde. "Verantwortlich dafür ist Ministerpräsident Platzeck", sagte Wanka. Wenn die rot-rote Koalition zerbreche, seien Neuwahlen unvermeidlich. Eine gemeinsame Regierung von SPD und CDU sei unter Platzeck nicht mehr denkbar. Das "Tischtuch" zu den Sozialdemokraten sei zerschnitten.