Staatsbesuch Staatsbesuch: Erdogan strebt nach "Neubeginn" in den Beziehungen zu Deutschland

Berlin - Es ist ja nicht so, dass man sich nicht kennen würde. Fünf Mal war der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in den vergangenen fünf Jahren in offizieller Mission in Deutschland zu Gast. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und er treffen sich regelmäßig bei Nato-Gipfeln oder im Rahmen der Gruppe der größten Industrie- und Schwellenländer (G20). Merkel selbst und ihre Minister reisen auch immer wieder zu politischen Gesprächen in die Türkei.
Dennoch ist der dreitägige Staatsbesuch, zu dem Erdogan am Donnerstag in Berlin eintraf, etwas Besonderes. Der umstrittene Türke strebt nicht weniger als einen „Neubeginn“ in den Beziehungen seines Landes zu Deutschland an. Die deutsche Seite sieht das genauso. In einem Gastbeitrag für die FAZ warb der türkische Präsident bereits für eine Partnerschaft auf Augenhöhe: „Wir sind verpflichtet, unsere Beziehungen auf Basis beiderseitiger Interessen und fern von irrationalen Befürchtungen vernunftorientiert fortzuführen.“
Leicht war das Verhältnis zwischen den beiden Ländern nie. Aber in den vergangenen zwei Jahren war es besonders kompliziert. Spätestens seit dem gescheiterten Putschversuch von 2016 höhlt Erdogan systematisch die Demokratie in der Türkei aus und begibt sich auch außenpolitisch immer wieder auf Pfade, die den Deutschen und ihren EU-Partnern nicht gefallen. Es ist derselbe Erdogan, der vor 15 Jahren – damals noch in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident – in weiten Teilen der EU als Muster-Europäer galt. Die Bewunderung ging so weit, dass Deutschland und Frankreich 2005 auf EU-Ebene die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Türkei durchsetzten.
In jüngster Zeit hat Erdogan in Deutschland vor allem mit der Verhaftung und Schikanierung von politischen Gegnern, Intellektuellen, Journalisten und Bürgerrechtlern von sich reden gemacht. Auch deutsche Staatsbürger blieben davon nicht verschont, so etwa der der Korrespondent Deniz Yücel.
Menschenrechtssituation
Die Organisation Amnesty International forderte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstag auf, in den Gesprächen mit Erdogan vorrangig die „dramatische Menschenrechtssituation“ in der Türkei zur Sprache zu bringen. „In der Türkei werden über die letzten Jahre grundlegende Menschenrechte massiv und systematisch verletzt. In einer solchen Situation muss ein Staatsbesuch genutzt werden, mit aller Deutlichkeit für alle willkürlich und unschuldig inhaftierten Menschen einzutreten“, erklärte der deutsche Amnesty-Generalsekretär Markus N. Beeko.
Mehr als 150 Journalisten säßen in der Türkei zurzeit in Haft, das sei mehr als in jedem anderen Land der Welt. Wer sich kritisch gegenüber der Regierung äußere, müsse damit rechnen, jederzeit festgenommen zu werden. „Hunderte Nichtregierungsorganisationen und Medienhäuser wurden in den vergangenen zwei Jahren geschlossen. Friedliche Proteste werden unterdrückt. Die türkische Regierung verbreitet so ein Klima der Angst und bringt kritische Stimmen zum Schweigen“, beklagte Amnesty International.
Es ist durchaus davon auszugehen, dass die deutsche Seite die Menschenrechtssituation in der Türkei ansprechen wird. Das wird aber vermutlich eher diskret geschehen.
Verbesserung der Beziehung
Grundsätzlich sind Ankara und Berlin gleichermaßen an einer substanziellen Verbesserung der Beziehungen interessiert. Der Türkei steht ökonomisch das Wasser bis zum Hals, sie ist dringend auf ein besseres Verhältnis zur Europäischen Union angewiesen. Deutschland wiederum, wo fast drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln leben, hat seinerseits ein großes Interesse an einer stabilen Türkei. Das Land soll den Europäern Flüchtlinge vom Hals halten. Es wird auch dringend gebraucht, wenn es um eine Nachkriegsordnung für Syrien geht. Vor allem ist die Türkei als Nato-Mitglied ein Eckpfeiler der europäischen Sicherheitsarchitektur. Das erklärt auch, warum sich viele deutsche Politiker schwer damit tun, einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen zu fordern.
Erdogan erwartet bei seinem Staatsbesuch ein umfangreiches Programm. Nach seiner Landung in Berlin-Tegel am Donnerstagnachmittag waren Gespräche mit türkischen Organisationen geplant. Das offizielle Programm soll am Freitagmorgen beginnen. Der Bundespräsident empfängt das türkische Staatsoberhaupt mit militärischen Ehren. Später soll es ein Arbeits-Mittagessen mit der Kanzlerin geben. Für Freitagabend ist ein Staatsbankett im Berliner Schloss Bellevue vorgesehen. Zahlreiche deutsche Oppositionspolitiker sind zwar eingeladen, wollen die Veranstaltung aber boykottieren. Linken-Fraktionschefin Sarah Wagenknecht sagte: „Mit einem solchen Mann sollte man nicht feierlich dinieren.“
In Berlin, wo Erdogan im Luxushotel Adlon am Brandenburger Tor wohnen wird, herrscht während des Staatsbesuchs im Regierungsviertel höchste Sicherheitsstufe. Die Polizei ist mit bis zu 4.200 Beamten im Einsatz. In Berlin und auch in Köln sind mehrere Demonstrationen geplant. Erdogan will am Samstag nach einem Frühstück bei Kanzlerin Merkel in die Domstadt reisen und dort an der Eröffnung der neuen Zentralmoschee im Stadtteil Ehrenfeld teilnehmen.