Sportgeschichte Sportgeschichte: DDR-Doping mit Langzeitwirkung
HAMBURG/DPA. - Sekundenbevor Richter Jürgen Warnatsch schließlich das Urteil in demPilotprozess verkündet, erreicht die Spannungskurve ihren Höhepunkt:Erstmals werden Beteiligte am systematischen Staatsdoping im DDR-Sport schuldig gesprochen. Fast neun Jahre nach der politischen Wendefolgen Worten und Papieren erste Taten. Das Landgericht verhängtgegen die drei Angeklagten - zwei Sportärzte und ein früherer Trainer- Geldstrafen in Höhe von 7000 bis 27 000 Mark wegenKörperverletzung Minderjähriger beziehungsweise Beihilfe dazu.
Sportmedizinerin Dorit Rösler nimmt danach all ihren Mut zusammenund reicht der früheren Schwimmerin Karen König die Hand, «um sichwieder in die Augen sehen zu können». Doch mehr als eine symbolischeGeste ist das nicht, schonungslose Aussprachen zwischen Tätern undOpfern hat es bis heute, elf Jahre nach dem Urteil, nicht einmalansatzweise gegeben. Und damit auch keine Versöhnung. «Es hat bisheute nie wirklich eine Aufarbeitung gegeben, bei der Opfer und Tätermiteinbezogen wurden», sagt Klaus Zöllig, Vorsitzender desDopingopfer-Hilfevereins (DOH). Der DOH hat etwa 600 Opfer erfasst,etwa 200 von ihnen wurde Mitte 2006 ein «Schmerzensgeld» von jeweils9250 Euro zugesprochen.
Prof. Heinrich Reiter holt noch einmal den 100-seitigenAbschlussbericht der Anti-Doping-Kommission von NationalemOlympischen Komitee (NOK) und Deutsche Sportbund (DSB) aus demSchrank. Der langjährige Präsident des Bundessozialgerichtes inKassel hat das siebenköpfige Expertengremium geleitet. «Wenn man dieletzten 18 Jahre Revue passieren lässt, dann muss ich leider sagen:Es war wirklich so, dass wir 1991 die Hoffnung hatten, die Welt würdesich verbessern. Aber sie hat sich nicht verbessert», beklagt der 78-Jährige in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur dpa. «In derZwischenzeit ist das Ganze ein Spiel wie Hase und Igel geworden: Essind schon wieder neue Dopingmittel erfunden, bevor dieentsprechenden Analysemöglichkeiten von der Wissenschaft da sind.»
«Jetzt wird eine Menge Arbeit auf den Sport zukommen», erklärtdamals Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Doch die Mühlen derJustiz mahlen langsam. «Lange Zeit ist überhaupt nichts geschehen.Nach der Wende war die Stimmung in den Verbänden doch: Go for Gold!»,beklagt der renommierte Sportanwalt Michael Lehner (Heidelberg),Vize-Vorsitzender und Gründungsmitglied des DOH. «Die Politik hattenach der Wende entschieden: Die Maueropfer sind viel schlimmer.Doping greifen wir nicht auf, das soll der Sport machen», erklärt derJurist.
«Das Urteil ist vernünftig. Damit ist der erste Pflock in denBoden der Aufarbeitung getrieben worden», sagt der damaligeGeneralsekretär des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) fürDeutschland, Heiner Henze, nach dem Pilotprozess. In der Tat gibt esim gleichen Jahr eine wahre Prozesslawine, doch Verurteilungen mitGeldstrafen sind die Regel. Oft wird das Verfahren gegen Zahlungeiner Geldbuße eingestellt. Als letzter Angeklagter wird Ende 1998der Sportarzt Bernd Pansold zu einer Geldstrafe von 14 400 Markverurteilt.
Erst ein Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung ist der Höhepunktder strafrechtlichen Aufarbeitung erreicht: Am 18. Juli 2000 werdender langjährige DDR-Sportchef Manfred Ewald und der als zentraleFigur des Staatsdopings mitangeklagte Sportarzt Manfred Höppnerverurteilt. Nach 22 Verhandlungstagen steht das Urteil fest: 22Monate Haft auf Bewährung für Ewald, 18 Monaten auf Bewährung fürHöppner. Beide hätten sich durch die heimliche Verabreichung vonmännlichen Hormonen sogar an minderjährige Sportler der Beihilfe zurKörperverletzung schuldig gemacht.
«Ich denke, der Richter hat eine ordentliche Arbeit gemacht», sagtHöppner. Ewald - einst Präsident des Deutschen Turn- und Sportbundes- verlässt das Kriminalgericht Moabit wortlos. In seinerselbstherrlichen Autobiografie «Ich war der Sport» überstrahlt derGlanz des Edelmetalls das Elend des Dopings. 160 Gold-, 153 Silber-und 141 Bronzemedaillen gewinnen DDR-Sportler unter seiner Regie beiOlympischen Spielen. Ewald stirbt im Oktober 2002 im Alter von 76Jahren.
Großes Aufsehen erregt im März 2006 auch der Prozess gegen ThomasSpringstein: Das Amtsgericht Magdeburg verurteilt den Leichtathletik-Trainer wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz in besondersschwerem Fall zu einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung. DasGericht sieht es als erwiesen an, dass Springstein der damals 16-jährigen Sprinterin Anne-Kathrin Elbe im Jahr 2004 ein Fläschchen miteinem Präparat gegeben hat, welches das Doping-Mittel Testosteron-Undecaonat enthielt.
Die Reiter-Kommission bekommt in ihrer halbjährigen Arbeit durcheine Fülle von Dokumenten und Aussagen ein lückenloses Bild vomstaatlich verordneten, gelenkten und überwachten Doping: DieRegierung gab den Auftrag, das Forschungsinstitut in Leipzig schuf inZusammenarbeit mit anderen Institutionen die wissenschaftlicheGrundlage, der Sportmedizinische Dienst sorgte für die Anwendung, dasDoping-Kontrolllabor in Kreischa trug mit seinen vorauseilenden Testsdazu bei, dass nur «saubere» Athleten die DDR verlassen durften.
Dabei würde die ehemalige DDR-Leichtathletin Ines Geipel früherenDopingtrainern durchaus eine zweite Chance geben. «Ich bin immer füreine Amnestie, wenn jemand klar macht, dass er einen Bruch vollziehtund öffentlich erklärt, dass er sein Tun verändert», meint die inBerlin lebende Literatur-Professorin und Buchautorin. «Ich bin fürAmnestie, aber nicht für Amnesie.» Um aber einen Schlussstrich zuziehen, «müssen die sich endlich mal bei den Athleten entschuldigen»,fordert die frühere Weltklasse-Sprinterin von den belastetenTrainern. «Die haben Menschen geschädigt.»