SPD SPD: Kleiner Parteitag stimmt für Koalitionsgespräche

Berlin/MZ - Draußen vor der Tür des Willy-Brandt-Hauses ist die Stimmung klar. Ein paar Dutzend Demonstranten haben sich an diesem sonnigen Sonntag zum Protest versammelt. „Wir sind das Wir!“, steht auf ihren Plakaten und „Nein zur Großen Koalition!“. Viele sind aufgebracht wie Sebastian Reichel aus dem Ortsverein Steglitz-Zehlendorf: „Wer jetzt für die Große Koalition stimmt, nimmt uns den Wahlsieg 2017“, sagt er. Unterschriften werden gesammelt. Viele fordern Rot-Rot-Grün, noch mehr den Gang in die Opposition. Für ein Bündnis mit der Union votiert keiner.
Ist das nun die Basis der Genossen? Oder sind es gar jene 3.000 Facebook-Nutzer, die sich über das Wochenende auf der Seite von SPD-Chef Sigmar Gabriel mit Kommentaren verewigt haben? Der Tenor ist eindeutig: „Solltet Ihr Euch für eine Große Koalition entscheiden, werde ich nach 38 Jahren die SPD verlassen“, schreibt einer. „Eine Große Koalition ist Verrat am Wähler“, protestiert ein anderer.
„Das ist in keiner Weise repräsentativ für die Partei“, widerspricht ein Mitglied des Parteivorstands energisch: „In Wirklichkeit ist die Stimmung sehr viel differenzierter.“ Tatsächlich verläuft der kleine Parteitag der SPD, auf dem über die Aufnahme der Koalitionsverhandlungen mit der Union abgestimmt wird, dann deutlich ruhiger als erwartet. Nur 31 der 229 Delegierten stimmen nach dreistündiger Debatte mit Nein. Das entspricht einer Zustimmung von rund 85 Prozent. „Die SPD ist seit 150 Jahren eine Partei, die nicht wartet, dass sich irgendwann Ergebnisse von alleine einstellen“, begründet Gabriel die Entscheidung. Später sagt er in der ARD: „Ich bin sehr sicher, dass wir mit der Union zu einem guten Ergebnis kommen.“
Ganz so optimistisch sind die angereisten Vertreter der Bezirke und der Ortsvereine freilich noch nicht. Schon in der Sitzung des 35-köpfigen SPD-Vorstands am Vormittag gibt es Debatten über den Antragsentwurf der Parteispitze. Der enthält zehn unverzichtbare Forderungen für eine Große Koalition. Von Steuererhöhungen ist da aber keine Rede und auch nicht von der Abschaffung des Betreuungsgelds.
Es sagt viel aus über die Befindlichkeit der SPD, dass im Vorstand alleine die Sprecherin des Forums Demokratische Linke (DL 21), Hilde Mattheis, grundsätzlich gegen das Papier stimmt. Mattheis habe „eine gewisse Lust an der innerparteilichen Niederlage“, hat ihr Vorgänger und heutige Chef der Berliner Senatskanzlei, Björn Böhning, kürzlich diagnostiziert. Genauso wie Hessens Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel ist er vor einigen Wochen aus der DL 21 ausgetreten. Längst sprechen für die Parteilinken andere wie das Vorstandsmitglied Ralf Stegner.
Der sieht eine Große Koalition zwar skeptisch, stellt sich Verhandlungen aber nicht in den Weg, solange die SPD möglichst viel durchsetzt. So kommen eine Reihe von Ergänzungen in das Papiers. Es werden aber keine Forderungen aufgenommen, die von vorneherein unerfüllbar für die Union wären. Als unverzichtbar listet der Beschluss – wie von Gabriel vorgeschlagen - vor allem den Mindestlohn von 8,50 Euro, Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente oder Leistungsausweitungen bei der Pflegeversicherung auf. Andere Positionen werden deutlich weicher formuliert. So heißt es zwar, die SPD trete für eine moderne Gesellschaftspolitik ein: „Das unterscheidet unseren Weg vom falschen Pfad, den die Bundesregierung mit dem Betreuungsgeld eingeschlagen hat.“ Dessen Abschaffung wird aber nicht zur Bedingung gemacht. Auch Steuererhöhungen - von der Union kategorisch abgelehnt - tauchen nicht auf. Es heißt nur, die SPD werde ausgehend von ihren Vorschlägen auf einer verlässlichen Finanzierung bestehen. Apodiktisch wird allerdings erklärt: „Wir werden keine sozialen Kürzungen akzeptieren.“
Mit dieser Handreichung kann Gabriel gut leben, der in einem Sechs-Augen-Gespräch mit Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer bereits die Knackpunkte einer Koalition ausgelotet hat. Aus Sicht der SPD-Spitze wird von ihrem Konvent nichts Unmögliches gefordert. In der Sitzung, so heißt es, sei Gabriel staatsmännisch aufgetreten. Doch auch die ursprünglich ablehnende NRW- Ministerpräsidentin Hannelore Kraft appellierte an die Delegierten, sie könne einer Friseurin im Osten, die für einen Stundenlohn von knapp fünf Euro arbeite, nicht erklären, weshalb sie den Mindestlohn von 8,50 Euro nicht durchsetze, wenn die Chance dazu besteht. Das Argument überzeugt die meisten Anwesenden.