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SPD-Chef wirt hin - Steinmeier wird Kanzlerkandidat

07.09.2008, 18:03

Berlin/dpa. - Ein Jahr vor der Bundestagswahl wird die SPD von einem chaotisch organisierten Führungswechsel erschüttert. Nach dem überraschenden Rücktritt von Parteichef Kurt Beck soll der frühere Vorsitzende Franz Müntefering an die Parteispitze zurückkehren.

Außenminister und SPD-Vize Frank-Walter Steinmeier wird 2009 wie erwartet als Kanzlerkandidat Amtsinhaberin Angela Merkel (CDU) herausfordern. Bis zur Wahl Münteferings auf einem Sonderparteitag wird Steinmeier auch die SPD führen. Beck begründete seinen Rückzug mit internen Intrigen. Die Union forderte von der SPD eine stärkere Abgrenzung von den Linken, hielt aber an der großen Koalition fest.

Steinmeier teilte die neue Aufgabenverteilung am Sonntag bei der Klausur der SPD-Spitze in Werder bei Potsdam mit. Beck hatte das noch laufende Treffen unmittelbar nach seinem - nur im Kreise der engsten Führung erklärten - Rücktritt wortlos verlassen. Die inhaltliche Diskussion über das vorbereitete Eckpunktepapier für die Bundestagswahl spielte keine Rolle mehr.

Steinmeier sagte nach der Klausur, für Beck habe nach dessen eigenen Angaben seit Monaten festgestanden, dass er, Steinmeier, die Kanzlerkandidatur übernehmen solle. Beide seien sich einig gewesen. Er, Steinmeier, wolle dafür kämpfen, dass in 385 Tagen wieder ein Sozialdemokrat regiere. «Wir sind besser gerüstet als wir glauben.» Die SPD wolle das Land neu gestalten. «Wir wollen, dass niemand am Rand der Gesellschaft zurückbleibt.»

SPD-Generalsekretär Hubertus Heil sagte, die SPD müsse nach vorne schauen. Die Partei werde für wirtschaftlichen Erfolg, soziale Gerechtigkeit und ökonomische Vernunft gebraucht.

Beck kritisierte in einer schriftlichen Erklärung, der vereinbarte Ablauf bei der Entscheidung über die Kanzlerkandidatur sei durch «gezielte Falschinformationen» in Medien durchkreuzt worden. «Das war und ist darauf angelegt, dem Vorsitzenden keinen Handlungs- und Entscheidungsspielraum zu belassen.» Deshalb sei es ihm nicht mehr möglich, das Amt des Parteichefs mit der nötigen Autorität auszuüben. Seinen Nachfolgern wünschte er Glück. Heil verneinte im ZDF aber, dass es einen «Putsch gegen Beck» gegeben habe.

Bis zuletzt soll Beck versucht haben, Müntefering an der Spitze zu verhindern: Beck habe der engsten Führung Arbeitsminister Olaf Scholz als Nachfolger vorgeschlagen, berichtete die «Frankfurter Rundschau» (Montag) unter Berufung auf Teilnehmer. Dies sei aber mehrheitlich abgelehnt worden. Müntefering war von Steinmeier als Vorsitzender vorgeschlagen worden. Laut «Handelsblatt» stimmten im Präsidium die hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti und ihr schleswig- holsteinischer Kollege Ralf Stegner gegen Ex-Vizekanzler Müntefering, der bei der Klausur nicht anwesend war. Stegner versicherte Müntefering im «Flensburger Tageblatt» (Montag) aber seine Loyalität.

Der 68 Jahre alte Müntefering hatte die Partei bereits von 2004 bis 2005 geführt. Er wäre bei einer erneuten Wahl nach Steinmeiers Überbrückungsphase der fünfte Vorsitzende innerhalb von fünf Jahren.

Die SPD startet nun mit einem schwierigen Auftakt in die letzten zwölf Monate vor der Bundestagswahl im September 2009. Zudem muss sie am 28. September die Landtagswahl in Bayern bestehen. In Hessen plant SPD-Chefin Ypsilanti eine Ablösung der geschäftsführend amtierenden CDU-Regierung durch ein von den Linken toleriertes rot-grünes Bündnis. Auch ihr Linkskurs und die daraus resultierenden Angriffe der Union hatten Beck stark in Bedrängnis gebracht.

Die Klausur der rund 50 Mitglieder des Parteipräsidiums, des Fraktionsvorstands sowie von Bundesministern und Ministerpräsidenten der SPD hatte am Vormittag in Werder begonnen. Allerdings hatte sich die engste Spitze um Beck, Steinmeier und Fraktionschef Peter Struck noch vor Aufnahme der Beratungen zu einem separaten Treffen in ein einige Kilometer entferntes Privathaus zurückgezogen. Zuvor hatten sich Teilnehmer verärgert gezeigt, weil sie von der Entscheidung für Steinmeiers Kandidatur aus den Medien erfahren hatten.

Linken-Chef Oskar Lafontaine wertete die Personalentscheidungen der SPD als Niederlage für den linken Flügel der Partei. CDU-Vize Christian Wulff sagte der dpa: «Die SPD-Vorsitzenden scheitern nicht an sich, sondern an den vollkommen ungelösten Konflikten in inhaltlichen und strategischen Fragen.» CSU-Chef Erwin Huber sagte nach Angaben eines Sprechers, auch Steinmeier sei an der Misere der SPD beteiligt.

Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle forderte eine Neuwahl: «Ein Jahr Dauerwahlkampf zwischen der Kanzlerin und dem Vizekanzler - das kann sich Deutschland nicht erlauben.» Für die Grünen- Fraktionsvorsitzende Renate Künast ist mit Steinmeiers Kür «die Machtfrage für 2009 ... offen, eine schwarz-gelbe Mehrheit kann und muss verhindert werden».