Spanien Spanien: «Kinder leben wie in einem Kerker»

Madrid/dpa. - «Sie werden in einen winzigen dunklen Raum ohneFenster gesperrt, dessen Wände mit einem schwarzen, stinkenden Gummibeschichtet sind. Die Luft ist unerträglich. Eine kleine Luke in derPanzertür dient zur Beobachtung.» Die Beschreibung klingt nach einemschaurigen Gefängnis - sie stammt aber aus einem Bericht übererschütternde Zustände und Misshandlungen in vielen KinderheimenSpaniens, der kürzlich dem Parlament in Madrid übergeben wurde.Verfasst wurde er vom Bürgerbeauftragten Enrique Múgica, der alsunabhängige Instanz über das korrekte Funktionieren der Verwaltungwacht.
Der Bericht hat das Land geschockt. Zumal es um Heime geht, diezwar meistens privat verwaltet, aber vom Staat getragen werden. Inihnen leben hunderte Mädchen und Jungen zwischen elf und 18 Jahren,die als schwer erziehbar gelten, aus zerrütteten Familien stammenoder sozial verwahrlost sind. Es handelt sich nicht um Verbrecher,keines der Kinder ist straffällig geworden. «Dennoch fühlten wir unszuweilen an Kerker aus dem Mittelalter erinnert», schreibt einer derAutoren des fast 500 Seiten starken Dossiers. Ganz «unheimlich» seies in manchem der Häuser gewesen.
Was die Berichterstatter Múgicas auf der Grundlage von Besuchenund Gesprächen mit Bewohnern und ehemaligen Heimbetreuernfesthielten, ist erschreckend. So werden Kinder, die nicht gehorchenoder aggressiv sind, in einigen Heimen bis zu drei Tage lang insogenannte «reizarme» oder «Auszeit-Zimmer» gesteckt. Hinter denEuphemismen verbergen sich Zellen, die eher an Isolationshafterinnern.
Andere Kinder werden dem Bericht zufolge zur Strafe auf denToiletten eingesperrt, ans Bett gebunden, an den Handgelenken miteinem ungeliebten Mitbewohner gefesselt oder sie müssen im Winter inLatschen durch die Kälte laufen, bekommen keine Mahlzeiten und dürfentagelang nicht in die Schule. «Kreative Erziehungsmaßnahmen» wirddies in mancher Heimordnung genannt. Immer wieder ist auch die Redevon brutaler «Zügelung» durch die - meist schlecht bezahlten -Betreuer. «Sie werfen dich auf den Boden und verdrehen dir Arme undBeine, bis du blaue Flecken hast», schilderte ein heute 18-Jähriger,der fast fünf Jahre in einem Madrider Heim lebte, der Zeitung «ElPaís». «Du möchtest sterben - oder dich vor einen Zug werfen.»
Er bestätigte einen weiteren Punkt des Berichts: Demnach werdendie Kinder oftmals - ohne ärztliche Kontrolle - mit Tabletten ruhiggestellt - etwa mit Antidepressiva oder Medikamenten gegenSchizophrenie. «Ich musste jeden abend eine Pille schlucken, die michvöllig benebelte. Sonst wurde ich in mein Zimmer gesperrt», erzählteein anderer Jugendlicher, der schließlich aus dem Heim floh und nunauf der Straße lebt. Andere gingen noch weiter: Im vergangenen Jahrnahmen sich Presseberichten zufolge zwei Zwölfjährige in Heimen inMadrid und Alicante das Leben - sie erhängten sich mit derJalousie-Schnur und einem Laken.
Der Chef einer der im Bericht kritisierten Betreibergesellschaftenwies die Vorwürfe zurück. Es handele sich um Erfindungen der Kinderund unzufriedener Ex-Mitarbeiter. Die Regierung in Madrid sieht dasaber nicht so. Sie forderte die Generalstaatsanwaltschaft auf,Ermittlungen einzuleiten und versprach eine lückenlose Aufklärung.