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Kommentar Sexismus-Debatte Sexismus-Debatte: Bloß nicht den Zotenreißern das Feld überlassen

Von Daniela Vates 27.09.2016, 08:23
Sexismus ist Alltag
Sexismus ist Alltag dpa

Berlin - Natürlich, man kann es ignorieren. Man kann  die geschmacklose Bemerkung als misslungenen Witz abhaken und den Kollegen, der vielleicht zum x-ten Mal eine Frau – natürlich keine anwesende – als Schlampe bezeichnet, als hoffnungslosen Fall abtun. Man kann versuchen, sich nicht aufzuregen. Man kann sich bemühen, sich auf das zu konzentrieren, was eigentlich gerade ansteht, auf das Thema der Konferenz, der Diskussion. Man kann die Augen rollen und sich abwenden. Man kann denken, dass sich der, der da gesprochen hat, selber bloßstellt. Man kann versuchen, Begründungen zu finden, vom Alter bis zu einer seltsamen Form von Profilierungssucht. Manchmal gelingt das, meist ärgert man sich doch.

Die Berliner CDU-Politikerin Jenna Behrends hat sich gegen das Ruhigbleiben entschieden. Sie hat öffentlich gemacht, wovon und von wem sie sich belästigt fühlte in ihrem Landesverband. In einem offenen Brief hat die 26-Jährige berichtet über Tuscheleien und Unterstellungen und über einen Spitzenpolitiker, der meinte, eine junge Frau als „große süße Maus“ bezeichnen zu müssen. Und von dem ihr erzählt wurde, er habe einen einflussreichen Kollegen über dessen sexuelle Beziehungen zu der ehrgeizigen Neuen erkundigt – in einer ordinären Tonlage, die daran zweifeln lässt, dass der Betroffene der Pubertät bereits entwachsen ist.

Peter Tauber ist nicht überrascht

Seitdem hat die CDU eine Sexismus-Debatte, denn der Einzelfall wird von anderen in der Partei als nicht unüblich bezeichnet. Ein CDU-Spitzenpolitiker lieferte den Beweis, indem er Behrends Kritik auf Twitter als Selbstmitleid kommentierte, mit dem Wort „Mimimi“. Der Generalsekretär der Bundes-CDU, Peter Tauber, kam nicht umhin, einzuräumen, ihm würden immer wieder ähnliche Probleme geschildert.

Es ist die Wiederauflage des Aufschreis, der vor einigen Jahren laut wurde, als der oberweitenfixierte Altherrenwitz eines damaligen FDP-Bundeswirtschaftsministers nicht von Journalisten belacht, sondern von einer Journalistin aufgeschrieben wurde.

Es ist kein Problem der Berliner CDU. Auch in anderen Parteien lässt sich so etwas erleben, in Unternehmen, in Verbänden. Die Gesellschaft ist aufgeklärt, die Frauen emanzipiert, na klar. Vieles ist mittlerweile selbstverständlich unmöglich, aber manches eben doch nicht. Sexismus gehört zum Alltag, in der Sprache, aber nicht nur da. Es ist noch vor kurzem allen Ernstes die Frage gestellt worden, ob eine Frau Verteidigungsministerin werden kann – als wir schon eine Bundeskanzlerin hatten. Es wird diskutiert, ob es der Union zuzumuten wäre, wenn nach Merkel wieder eine Frau Parteichefin werden würde oder nach oder neben Merkel eine Frau den Posten des Bundespräsidenten übernehmen würde. In der Politik wie an der Spitze von Unternehmen sind Frauen in der Minderheit. Im Bundestag stellen sie gerade mal ein Drittel der Abgeordneten.

Mehr Sorge um Unternehmen als um Frauen

Momentan streitet die Koalition über ein Gesetz, das helfen soll, die Entlohnung von Frauen und Männern anzugleichen. Und es gibt Bedenken, dass es dadurch zu Belästigungen kommen könnte – der Unternehmen. Fast erübrigt sich da ein Kommentar.

Es geht also nicht nur um physische sexuelle Belästigungen, um Grapscher, die übrigens ja auch erst seit den Vorfällen der Kölner Silvesternacht eine allgemeine gesellschaftliche Ächtung erfahren, obwohl sich nun wirklich nicht nur nordafrikanische Zuwanderer angesprochen fühlen müssten von dem Hinweis „Nein heißt Nein“.

Es geht um Subtileres, um Herabwürdigung und Diskriminierung durch Wort und Tat. Die Grenze zwischen schlechtem Geschmack und Anzüglichkeit, zwischen Dummheit und Belästigung ist fließend, die Belastungsgrenzen der Zuhörenden variieren. Das kann nicht bedeuten: Alles ist erlaubt. Es geht um Umgangsformen und vor allem um Respekt.

Glaubwürdigkeit wird in Frage gestellt

Im Fall Behrends ist es so, dass zunächst die Glaubwürdigkeit der Frau in Frage gestellt wurde. Es handele sich um eine Intrige gegen den Landesparteichef Frank Henkel, der inzwischen als „Süße Maus“-Charmeur identifiziert ist, hieß es. Das wäre schon eine tolle Intrige: Henkel hatte schon nach der misslungenen Abgeordnetenhauswahl vor zehn Tagen seinen Rücktritt angekündigt – vor dem Bekanntwerden der Vorwürfe. Es kann bei Henkel nun allenfalls etwas schneller gehen. Tatsächlich zurückgetreten sind in der Berliner CDU mittlerweile Frauen, denen die Schuldumkehr auf den Wecker ging.

Das ist verständlich. Bedauerlich ist daran, dass damit den Zotenreißer-Freunden das Feld überlassen wird. Immerhin eins hat die öffentliche Debatte erreicht: Der „Mimimi“-Tweet wurde gelöscht. Wer ihn eigentlich richtig findet, darf sich einen „Süße Maus“ oder „Starker Hengst“-Button anstecken und sich überlegen, mit wem er geschlafen hat, um an seinen Job zu kommen.