Senioren Senioren: Die Gruppe der Hochbetagten wächst in Deutschland

Köln/dpa. - Auguste Bremer hat einen Ururenkel, 13 Urenkel, fünfEnkel und zwei Kinder - und ist stolze 103 Jahre alt. «Ich fühle michaber nicht wie 103, es geht mir gut. Schon mit 100 habe ich michgewundert, dass ich so alt geworden bin», sagt die Kölnerin, die ineinem Seniorenheim lebt. Die Gruppe der Hochbetagten, von denenmanche geradezu ein biblisches Alter erreichen, wächst deutlich.Schlagzeilen wie «Älteste Bonnerin feiert 108. Geburtstag» oderAnzeigen wie «Alles Gute zum 102. Geburtstag!» häufen sich. Derderzeit älteste Mensch Deutschlands ist mit 111 Jahren die BerlinerinIrmgard von Stephani, die am 20. September 1895 geboren wurde.
Laut Bevölkerungsstatistik sind derzeit von 82,3 MillionenMenschen in Deutschland bereits 3,8 Millionen Senioren 80 Jahre undälter. 1980 wurden in Ost und West erst 2,1 Millionen Menschen mit 80und mehr Jahren gezählt. Der Bundespräsident, der zum 100. Geburtstaggratuliert und dann ab 105 Jahren jährlich, schickte lautBundesverwaltungsamt im vergangenen Jahr 5217 Glückwunsch-Schreibenan Hochbetagte. 2003 waren «nur» 4210 präsidiale Gratulationsbriefeversandt worden.
«Das zunehmend hohe Alter der Menschen ist eine Herausforderungfür die Gesellschaft, auf die man sich dringend einstellen muss»,betont die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen(BAGSO). Es gebe viel zu tun - etwa beim Wohnen, der Ausstattung vonöffentlichen Einrichtungen und Geschäften oder der Herstellungaltersgerechter Produkte, sagt BAGSO-Sprecherin Ursula Lenz in Bonn.
Jenseits der 80 Jahre nimmt der Pflege- und Hilfebedarf deutlichzu, die Zahl der Demenz-Fälle wächst. Elf Prozent der ab 80-Jährigenwaren Ende 2006 stationär untergebracht, lebten also vor allem inHeimen. Die große Mehrheit der Hochbetagten wird laut BAGSO von denFamilien betreut oder gepflegt oder lebt - meist mit Unterstützung -im eigenen Haushalt.
Das Gesundheitswesen ist auf den immer größeren Anteil der Älterenan der Bevölkerung nach Experten-Einschätzung nicht eingestellt.Senioren jenseits der 80 machen neben Altersdemenz vor allemTumorerkrankungen, Herz-Kreislauf-Probleme, Schlaganfall oderDiabetes zu schaffen. «Darauf ist unser Gesundheitswesen nurunzureichend vorbereitet, auch wenn es ein wachsendes Bewusstsein fürdas Thema gibt und es - auch von politischer Seite - in RichtungPrävention geht», sagt Prof. Jens Claus Brüning, Experte fürAltersmedizin an der Universität Köln. Mit steigendem Alter nähmendie Gesundheitsausgaben deutlich zu.
Senioren-Organisationen fordern einen schärferen Blick für dieBelange der alten Menschen: «Beim Thema Wohnen könnten schon mitkleinen baulichen Veränderungen viele alte Menschen in ihrer eigenenHäuslichkeit bleiben», meint Lenz. Es gebe positive Alternativen zumHeim wie Mehr-Generationen-Häuser oder betreute Wohngemeinschaften.«Wir brauchen aber deutlich mehr davon», fordert Lenz. Viele Seniorenbeklagen, dass Geschäfte und öffentliche Orte oft nicht barrierfreizugänglich sind, Bänke zum Ausruhen fehlen oder auch Toiletten.
«Was sich für die Älteren als sinnvoll erweist, nützt meistensauch den Jüngeren - das gilt auch für viele Produkte», sagt dieBAGSO-Sprecherin. Bei Geräten sei «technischer Firlefanz» hinderlich,einfache Bedienbarkeit angesichts nachlassender Finger-Beweglichkeitund Sehkraft dagegen gefragt. «Die älteren Leute verweigern sonsteben auch mal den Konsum.» Diese Erkenntnis setzt sich in Industrieund Marketing allmählich durch: Zunehmend lassen Hersteller ihreGeräte und Dienstleistungen vor Markteinführung von Senioren testen.Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte jüngst dasProgramm «Wirtschaftsmotor Alter» vorgestellt: Millionensummen solleninvestiert werden, um Unternehmen bei Seniorenprodukten zu beraten.
Viele Hochbetagte kommen auch allein gut klar und managen ihrenHaushalt in Eigenregie: Maria Milz verließ mit 100 Jahren ein KölnerSeniorenheim, «weil da zu viele Alte» waren und zog die Freiheit inihren eigenen vier Wänden vor. Der 81-jährige Wolfgang Lob lief beimHalb-Marathon mit - aber nicht mit letzter Kraft, sondern nur, umsich fit zu halten für den «echten» Kölner 42-Kilometer-Marathon.
Um Lebensqualität zu erhalten und gesund alt zu werden, sindkörperliche und geistige Aktivität wichtig, wie Gerontologen betonen.Das Thema Ernährung sei von zentraler Bedeutung, sagt auch Prof.Brüning: «Bei niedrigen Organismen wie Würmern, Mäusen oder Rattenist klar belegt, dass Kalorienrestriktion den Alterungsprozessverlangsamt und alterstypische Krankheiten seltener auftreten.»Auguste Bremer, die zwar unter Hör- und Sehschwächen leidet, abervieles noch selbstständig meistert, hat ihr ganz eigenes Rezept: «DerMensch muss zufrieden sein - wer immer zufrieden ist, lebt länger».