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Schweden Schweden: Land begeht den 11. September doppelt

Von Thomas Borchert 08.09.2004, 06:45
Sie gehörte zu den populärsten Politikern Schwedens: Außenministerin Anna Lindh. (Foto: dpa)
Sie gehörte zu den populärsten Politikern Schwedens: Außenministerin Anna Lindh. (Foto: dpa) PRESSENS BILD

Stockholm/dpa. - Schweden begeht am Samstag den ersten Todestagder ermordeten Außenministerin Anna Lindh. Dass sich der 11.September den Skandinaviern durch den Anschlag eines psychischkranken Messerstechers doppelt ins Gedächtnis gebrannt hat, zeigtauch das TV-Programm. SVT sendet bei einem Themenabend unter demMotto «Zur Erinnerung an den 11. September und Anna Lindh» erst eineGedenkveranstaltung zu Ehren der Ermordeten aus dem StockholmerStadttheater, dann eine Studiodiskussion über Terror und Gewalt undanschließend einen Episodenfilm über die New Yorker Terroranschlägeam 11. September 2001.

Als die Nachricht von den Messerstichen gegen die 46-jährigeSozialdemokratin die Runde machte, glaubten fast alle Schweden, dassdie mit Abstand populärste Politikerin ihres Landes Opfer eineszielgerichteten politischen Terroranschlags geworden sei. Lindh, dieam Nachmittag des 10. September mit einer Freundin und ohneLeibwächter Kleidung für einen Fernsehauftritt im Stockholmer NK-Kaufhaus finden wollte, war gerade in diesen Tagen herausragendeFrontfigur bei der Regierungskampagne für den Beitritt zum Euro. Siehatte sich weit stärker als Ministerpräsident Göran Persson imNahostkonflikt als Israel-Kritikerin profiliert und galt als sichereAnwärterin auf die Nachfolge des Regierungschefs.

Schon bald nach der Festnahme des geständigen Täters MijailoMijailovic zeigte sich, dass hinter den mehr als zehn mit äußersterKraft ausgeführten Messerstichen keine politischen Motive, sondern«nur» das Elend eines psychisch extrem gestörten Zuwanderer-Sohnesaus Serbien stand. Die total enthemmte Gewalttätigkeit des 25-jährigen Dauerpatienten psychiatrischer Stationen führte dieöffentliche Aufmerksamkeit dann auch schnell weg von politischenErwägungen und hin zu einer intensiven Debatte über die Mängel derschwedischen Psychiatrie.

So kam es auch für juristische Beobachter nicht überraschend,dass die Verurteilung zu lebenslanger Haft in erster Instanz imBerufungsverfahren aufgehoben und durch Einweisung in einegeschlossene Psychiatrie ersetzt wurde. Die endgültige Entscheidungliegt nun beim Obersten Gerichtshof, der noch keinen Termin für dendritten Prozess zum Lindh-Mord anberaumt hat.

Lindhs Witwer Bo Holmberg (62) empörte sich öffentlich, dieEinweisung in die Psychiatrie sei eine «Provokation desVolksempfindens». «Ich kann Anna und unseren beiden Söhnen nichterklären, warum dieser Mann nicht ins Gefängnis kommt. Ich glaubeabsolut nicht an seine Erklärungen über innere Stimmen und Dämonen»,erklärte der Ex-Minister, der sein und das Leben der 9 und 13 Jahrealten Söhne seit dem Mord als «einen einzigen Albtraum» bezeichnet.

Unmittelbar vor dem ersten Todestag wirkte der Witwer an derDokumentation «Unsere geliebte Anna» des Privatsenders TV4 mit undgab private Videoaufnahmen aus dem Familienleben frei. Das auchvorher schon in Medien dominierende Bild von Anna Lindh als«hingebungsvoller Mutter» ist bei den Frauen des «Anna-Lindh-Gedenkfonds» nicht gut angekommen. Lindh als perfekte Mutterverkaufe sich eben viel besser als die Politikerin Lindh, hieß es ineinem Buch über die Verarbeitung des Anschlags in Medien.