Schmähgedicht Schmähgedicht: Angela Merkels Böhmermann-Dilemma

Berlin - Es sind nur zwei Wörter. Doch zwischen diesen beiden Adjektiven ist Angela Merkel nun gefangen. Genau eine Woche ist es her, dass Regierungssprecher Steffen Seibert von einem Telefonat der Kanzlerin mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglo berichtete, bei dem es um das schlagzeilenträchtige Schmähgedicht des ZDF-Komikers Jan Böhmermann ging. Merkel habe den Wert der Meinungsfreiheit betont, sagte Seibert: „Was den konkreten Text betrifft, so stimmte sie mit dem türkischen Ministerpräsidenten darin überein, dass er bewusst verletzend angelegt gewesen sei“. Bewusst verletzend. Die Betonung lag auf dem zweiten Wort. Es klang wie eine Distanzierung.
Seibert bemüht sich um Akzentverschiebung
An diesem Montag nun muss sich Seibert vor der Bundespressekonferenz erneut eine halbe Stunde lang zu der Causa befragen lassen. Er betont ausdrücklich, die Meinungsfreiheit gelte auch für die Satire. Böhmermann selbst habe sein Gedicht als bewusste Grenzüberschreitung angekündigt: „Das und nichts anderes wollte die Bundeskanzlerin mit der Formulierung deutlich machen, der Text sei bewusst verletzend.“ Die Betonung liegt dieses Mal eindeutig auf dem ersten Adjektiv. Es klingt wie die Verteidigung einer gewollten Provokation.
Haarspalterei? Wohl kaum. Seibert ist die Akzentverschiebung so wichtig, dass er sie ausdrücklich erläutert: „Ich habe heute noch einmal Anderes… ich sollte sagen: Vertiefendes dazu gesagt, um einem entstandenen falschen Eindruck entgegenzutreten.“ Dem Eindruck nämlich, dass Merkel vor dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan kuscht.
Doch der Fehler ist gemacht. Offenbar hatte Merkel gehofft, die Regierung in Ankara mit dem Telefonat besänftigen und von rechtlichen Schritten abhalten zu können. Immerhin wird Erdogan in dem Gedicht als „Ziegenficker“ bezeichnet. Doch diese Rechnung ging nicht auf: Erdogan besteht auf einer Strafverfolgung.
Kanzlerin in der Zwickmühle
Nun befindet sich Merkel in einer Zwickmühle. Paragraf 103 des Strafgesetzbuches bedroht die Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Doch nennt Paragraf 104a eine Reihe von Voraussetzungen. So muss ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegen. Das tut es: Der türkische Botschafter hat in einer Verbalnote beim Auswärtigen Amt förmlich das Verlangen nach Strafverfolgung geäußert. Außerdem bedarf es zur Einleitung eines Verfahrens jedoch einer ausdrücklichen Ermächtigung der Strafverfolger durch die Bundesregierung.
Berlin muss also entscheiden, ob die Staatsanwälte überhaupt tätig werden dürfen. Nun suchen Vertreter des Auswärtigen Amtes, des Kanzleramts und des Justizministeriums nach einem Ausweg. „Das wird ein paar Tage dauern“, sagt Seibert entschuldigend: „Mit den rechtlichen Fragen, die jetzt zu prüfen sind, haben wir uns in den letzten Jahren nicht befasst.“
Heikle politische Implikationen
Noch heikler als die juristischen Fragen dürften die politischen Implikationen sein, weshalb die Entscheidung sicher nicht auf der Beamten-Ebene fallen wird. Weist Merkel das Ansinnen Erdogans zurück, brüskiert sie einen ihrer wichtigsten Partner in der Flüchtlingskrise. Der Präsident ist schwer berechenbar. Theoretisch könnte er den EU-Türkei-Deal zur Begrenzung des Flüchtlingsstroms platzen lassen. Zumindest könnte er den Preis hochtreiben. Innenpolitisch würde der Autokrat durch eine ungesühnte Beleidigung aus dem Ausland wohl noch gestärkt.
Lässt die Kanzlerin aber das türkische Gesuch passieren, gerät sie in der deutschen Öffentlichkeit weiter unter Druck. Mathias Döpfner, der Chef des Springer-Konzerns, dürfte nicht der einzige sein, der sich dann mit Böhmermann solidarisiert. In einem offenen Brief lobt Döpfner das Schmähgedicht als großes Kunstwerk, machte sich alle Formulierungen zu eigen und geht die Regierung hart an: „Man könnte das Ganze auch einfach Kotau nennen“, kritisiert er.