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Satire gegen Erdogan Satire-Video gegen Türkei-Präsident Recep Tayyip Erdogan: Bundesregierung lässt Bekenntnis zu Pressefreiheit vermissen

Von Karl Doemens 30.03.2016, 08:04
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan AFP

Berlin - Der deutsche Botschafter wird wegen eines zweiminütigen Filmchens im ARD-Spätprogramm in das Außenministerium eines befreundeten Landes einbestellt – „eine aussichtslose Anmaßung“, empört sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Norbert Röttgen (CDU). Die türkischen Offiziellen fordern den Diplomaten auf, die weitere Verbreitung des Videoclips zu stoppen – „völlig inakzeptabel“, urteilt der SPD-Außenpolitiker Niels Annen.

Doch was macht die Bundesregierung? Sie schweigt. Eine Woche lang hat sie den Vorfall unter der Decke gehalten. Als er am Dienstag schließlich hohe Wellen schlug, mochten weder das Kanzleramt noch das Auswärtige Amt öffentlich Stellung beziehen. Erst am Abend bezog das Auswärtige Amt dann auf ziemlich eigentümliche Weise  Position. Per Twitter teilte das Haus von Frank-Walter Steinmeier (SPD) mit, der deutsche Botschafter habe bei seinen mehrfachen Gesprächen im türkischen Außenministerium deutlich gemacht, „dass Presse- und Meinungsfreiheit geschützt werden müssen“. Eine Selbstverständlichkeit, ziemlich verschämt und indirekt formuliert.

Doch heute um 11.30 Uhr dürfte das Versteckspiel ein Ende haben. Da treten die Vertreter der Bundesregierung turnusmäßig vor die Bundespressekonferenz. Direkten Fragen nach der deutschen Haltung zu dem Zensurversuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan können die Sprecher kaum ausweichen. Die Merkel-Regierung befindet sich in einer brisanten Situation: Das Konzept der Kanzlerin zur Lösung der Flüchtlingskrise ist ohne die Türkei nicht zu realisieren. Doch in der Öffentlichkeit ist der Deal mit Ankara ohnehin umstritten. Das peinliche Schweigen zur offensichtlichen Missachtung der Meinungs- und Pressefreiheit am Bosporus scheint diejenigen zu bestätigen, die Merkel vorwerfen, sie habe unter dem Deckmantel der Humanität ihre Werte verraten.

Ein Drahtseilakt für den Regierungssprecher. Weil Steffen Seibert in Urlaub ist, fällt der heikle Job seiner Stellvertreterin Christiane Wirtz zu. Ein klares Bekenntnis zur Meinungs- und Pressefreiheit ist das Mindeste, was in dieser Situation von der erfahrenen Ex-Journalistin zu erwarten ist. Doch werden die Auguren genau beobachten, inwieweit Wirtz auch direkte Kritik am Vorgehen der Türkei übt.

„Ein klassisches Eigentor“

Erdogans Einschüchterungsversuch sei „ein klassisches Eigentor“ gewesen, urteilte SPD-Mann Annen im Deutschlandfunk. Aus internationale Sicht ist das offensichtlich: Der tatsächlich ziemlich treffebnende satirische Videoclip „Erdowie, Erdowo, Erdogan“ fand zunächst kaum Verbreitung. Gerade 50.000 Mal wurde er bis Sonntagabend bei Youtube aufgerufen. Inzwischen haben ihn mehr als 2,6 Millionen Menschen gesehen, und eigens für die Zuschauer in Erdogans Heimatland wurde er türkisch untertitelt. Wie die Wirkung in der Türkei ist, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Kenner des Landes halten es durchaus für möglich, dass der Präsident durch die Kritik von außen  vorübergehend innenpolitisch sogar gestärkt wird.